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Eindeutig fiel das Votum der EU-Parlamentarier gegen Ungarn aus.

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Die Abstimmung im EU-Parlament über die Einleitung eines Rechtsstaatsverfahrens gegen Ungarn wegen Verstößen gegen EU-Recht fiel am Mittwoch in Straßburg eindeutiger aus als erwartet. Die erforderliche Zweidrittelmehrheit wurde locker erreicht, die Beteiligung (693 von 751 Sitze) war hoch. Dass es doch nicht zur "Zitterpartie" kam, weil bei 48 Enthaltungen 448 Mandatare für das Artikel-7-Verfahren stimmten und nur 197 dagegen, zeigt, dass auch die große Mehrheit der EVP-Fraktion, der Orbáns Fidesz angehört, dafür war.

Ein Nein kam vor allem von Rechten aus Ungarn, Polen, Frankreich und der FPÖ, von der EU-feindlichen Gruppe um Nigel Farage, von den britischen Tories und polnischen PiS-Abgeordneten. Nach dem Votum gab es Aufregung um die Geschäftsordnung: Das Orbán-Lager wollte die Abstimmung anfechten, weil die Enthaltungen eigentlich als Nein-Stimmen zu werten seien.

Das Votum für ein Artikel-7-Verfahren durch das Parlament hat eine historische Dimension. An sich wäre eine solche Initiative Aufgabe der EU-Kommission, die vor zwei Jahren zwar ein solches Verfahren gegen Polen eingeleitet hat, bei Ungarn darauf aber verzichtete. Das EU-Parlament hat damit aber auch die Regierungen der Mitgliedstaaten vorgeführt, die die heikle Sache bisher von sich geschoben hatten. Mit dem Beschluss geht das nicht mehr.

Péter Szijjártó, Ungarns undiplomatischer Chef der Diplomatie, nahm sich nach der Abstimmung kein Blatt vor den Mund: "Das ist nichts anderes als die kleinliche Rache migrationsfreundlicher Politiker", sagte er in Budapest. "Man hat Ungarn und seine Menschen bestraft, weil sie bewiesen haben, dass die Migration kein naturgegebener Vorgang ist und dass man sie aufhalten kann."

Der dem EU-Verfahren zugrundeliegende Bericht der niederländischen Grünen-Abgeordneten Judith Sargentini listet ungarische Verfehlungen in mehr als 60 Punkten auf: Grausamkeiten im Umgang mit Flüchtlingen und Schutzsuchenden sind darin ebenso enthalten wie die Unterdrückung unabhängiger Medien, Versuche zur Politisierung der Justiz oder die straflos bleibende Korruption regierungsnaher Personen. Insbesondere unterstreicht der Bericht den systemischen Zusammenhang von Repressionen und Günstlingswirtschaft, der die Negierung der Grundwerte nach sich ziehe – so der Bericht.

"Historisches" Votum

Oppositionelle und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in Ungarn, die diesen Zusammenhang sehen oder sich von ihm bedroht fühlen, begrüßten das Straßburger Votum als "historisch". Der sozialdemokratische Abgeordnete István Újhelyi erklärte: "In einem normalen und glücklichen Land würde eine Regierung, die sich dermaßen auf die Schandbank manövriert hat, die Wähler um Verzeihung bitten und die Macht abgeben – oder sie würde zumindest darüber nachdenken, wie lange sie noch zwecks Vertuschung ihrer Verbrechen die ganze Nation als Schutzschild vor sich hertragen kann."

Das ungarische Helsinki-Komitee, das unter anderem Asylsuchenden Rechtsbeistand leistet und deshalb im Budapester Fadenkreuz steht, zeigte sich gleichfalls erfreut über das Votum: Das EU-Verfahren schütze die Rechte der Bürger Ungarns und biete eine Chance, die Demokratie in Ungarn und Europa zu verteidigen. "Es ist vielleicht der letzte Augenblick, dass die EU-Institutionen jenen Regierungen ein klares Signal geben, die damit liebäugeln, die ungarische Praxis der Schwächung der verfassungsmäßigen Demokratie zu kopieren." (Thomas Mayer aus Straßburg, Gregor Mayer aus Budapest, 12.9.2018)