In Pension und doch immer aktiv: Willi Resetarits alias Ostbahn Kurti – eine der originellsten Figuren der österreichischen Popmusik.

Foto: Heribert Corn

Einer der originellsten Protagonisten der heimischen Popmusik ist eine Kunstfigur. Die jedoch ist ihrem Darsteller so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, dass die Unterstellung eines Alter Egos nachgerade tiefstapelt: Willi Resetarits stellte und stellt den Kurt Ostbahn derart authentisch dar, dass wohl von einer Deckungsgleichheit zu sprechen ist. Resetarits war der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort, denn die Idee zur Figur des Ostbahn Kurti hatte Günter Brödl geboren.

Brödl war einer der vielen Verführer, die via Ö3-Musicbox fünfmal die Woche den Beweis antraten, dass es da draußen in der Welt atemberaubende Musik gab (und gibt). In einer Sendung fragte Moderator Wolfgang Kos den Brödl, wie wohl Southside Johnny & the Asbury Jukes auf Wienerisch heißen würden. Brödl antwortete: "Ostbahn-Kurti & die Chefpartie". Ein schicksalhafter Moment irgendwann Mitte der 1970er.

Fiktive Biografie

Die Figur hatte es Brödl angetan. Infolge schuf er ihr für ein Bühnenstück eine fiktive Biografie und porträtierte den geheimnisvollen (dabei noch gar nicht existenten) Musiker im Radio. Er schaltete Inserate und tat alles, um den Mythos zu befeuern. Das wirkte – und ab 1983 erfüllte Willi Resetarits die Figur tatsächlich mit Leben. 1985 erschien das Album Live – seit damals zählt der Ostbahn-Kurti zum verlässlichsten Inventar heimischer Populärmusik.

Im Rahmen des Gedenkens anlässlich des hundertjährigen Bestehens der Republik widmet sich die Reihe "Zwickt's mi" das ganze Jahr lang österreichischer Popmusik. Einzelne Alben, Songs und Künstler, die die heimische Popmusik geprägt haben, werden in Erinnerung gerufen und vorgestellt.

Southside Johnny & the Asbury Jukes stammten aus New Jersey. Sie kamen aus demselben Soziotop wie Bruce Springsteen und folgten dessen Verkörperung des uramerikanischen Rock 'n' Rollers. Brödl übertrug diesen Habitus für den Ostbahn-Kurti ins Deutsche, genauer ins Wienerische. Songs von Bruce Springsteen, Soulklassiker von Arthur Alexander oder Bobby Womack – querbeet wurde gewildert und übersetzt.

"Hart auf hart"

Dass so ein Ansatz funktioniert, hatte Peter Schleicher 1979 schon gezeigt. Auf seinem Album Hart auf hart hatte er Songs der Rolling Stones ins Wienerische übertragen. Aus der Honky Tonk Woman hatte er eine Beisl Hur gemacht, aus Jumpin' Jack Flash den Letzten Fetz'ntandler von Wien.

Als Resetarits Kurt Ostbahn wurde, hatte er bereits eine beachtliche musikalische Karriere hinter sich. Der 1948 in Stinatz geborene Burgenlandkroate wuchs in Wien auf. Ende der 1960er-Jahre war er Gründungsmitglied der politisch bewegten Folkband Schmetterlinge.

Besetzter Schlachthof

Als deren größtes musikalisches Erbe gilt die Proletenpassion. Das ist eine Art politisches Oratorium, das 1976 im Rahmen der Wiener Festwochen auf dem Gelände eines aufgelassenen Schlachthofs uraufgeführt wurde. Das Gelände war seit 1970 immer wieder Festwochenspielstätte gewesen, sollte aber an die Modekette Schöps verkauft werden, die das Areal schleifen und neu aufbauen wollte. 1976 wurde es besetzt.

Neben anderen traten die Schmetterlinge für die Nutzung des Geländes als Kulturbetrieb ein und dort auf – daraus entstand nach dem Einlenken der Stadt, was seit über 40 Jahren eine der wichtigsten Spielstätten Wiens ist: die Arena.

Boom Boom Boomerang

1977 vertraten die Schmetterlinge Österreich mit dem satirisch angehauchten Boom Boom Boomerang Österreich beim Song Contest in England. Ironie und Song Contest, das ging damals noch nicht zusammen, die Anspielungen auf die Plattenindustrie wurden mit dem vorletzten Platz bedacht.

Gehaltvoller war da wieder ihr 1979 erschienenes Album Herbstreise. Das war ein Album über die gesellschaftspolitische Dynamik, die der RAF-Terror in Deutschland ausgelöst hatte.

Die Schmetterlinge 1977 beim Song Contest in England mit Boom Boom Boomerang: "Der Dollar rockt und rollt."
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Als Ostbahn Kurti schraubte Resetarits das Politische zurück – soweit das bei ihm möglich ist. Denn seine Bekanntheit nutzt Resetarits bis heute für unpopuläre, aber wichtige Projekte: Er war Mitbegründer von SOS Mitmensch, trat 1993 beim Lichtermeer gegen Fremdenfeindlichkeit auf, engagiert sich für Asyl in Not und war Geburtshelfer des Wiener Integrationshauses.

Auf dem Highway ins Burgenland

Als Ostbahn Kurti frönte er mit Brödls Texten US-amerikanischer Musik unter den Bedingungen der Wiener Vorstadt oder des Highways ins Burgenland. Was im Wilden Westen ein Diner im Nirgendwo ist, wurde bei Ostbahn zur Tankstö. Grenzgänger wie Willy DeVille und Ausflüge ins Tex-Mex-Fach waren ihm genauso wichtig wie ein vom Boss eingewienertes Feuer (1985), ein bei Fats Domino geborgtes I hea di klopfen oder das bei Steve Miller abgestaubte Da Joker (1989).

Die Ostbahn rüber nach New Jersey verlängert: Fire von Bruce Springsteen in der Version des Doktors.
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Den Ostbahn verkörperte er meist im Unterleiberl mit hohem Hosenbund. Brödls Übertragungen erfüllte er so mit Blut, Schweiß und Tränen. Er bot Trost und Rat – auf der Bühne, später im Radio und zur Not auch, wenn man ihn beim Einkaufen beim Billa anquatschte.

Nicht lernen, fühlen

Trost und Rat kamen im Dialekt. Das signalisierte Niederschwelligkeit und Authentizität. Es erinnerte daran, dass Rock 'n' Roll, Blues, Country oder Boogie von Lastwagenfahrern, Handwerkern und Hacklern erfunden worden waren. Das konnte man nicht studieren, man musste es fühlen: Hat man Rock 'n' Roll, braucht ma kan Doktor. Zudem konnte der Ostbahn Lamourhatscher und Hadern singen. Ein Lied wie Es ist besser du gehst könnte in jedem mexikanischen Bierzelt reüssieren.

Das Burgenland grenzt mitunter an Mexiko – Es ist besser du gehst.
Willi Resetarits - Topic

Acht Alben hat er mit der Chefpartie zwischen 1985 und 1994 eingespielt, seit damals sind bei diversen Wiederauferstehungen ein paar dazugekommen – die Konzerte besaßen und besitzen Volksfestcharakter. Mitte der 1990er schickte er die Chefpartie jedoch in den Ruhestand und nahm das erste Album mit der Kombo auf: Espresso Rosi.

Live war die Musik immer besser als auf den doch oft eher gebügelten Produktionen, die auf Platte gepresst worden waren. Nicht auszudenken, wenn Ostbahn eines seiner Alben in den Ardent Studios in Memphis mit ein paar Mietknechten aus der Bar ums Eck aufgenommen hätte.

Stubnblues mit Geistesverwandten

Im Jahr 2000 starb Brödl mit nur 45 Jahren, 2003 ging Ostbahn auf Abschiedstour und empfahl sich in die Pension. Musik macht Resetarits ungebrochen. Seither ist er meist mit der Formation Stubnblues unterwegs, bläst die Mundharmonika und pflegt seinen Schmäh und seine Leidenschaft, die er mit Nachgeborenen wie Ernst Molden teilt, einem Geistesverwandten, mit dem er auftritt und aufnimmt.

Resetarits, momentan 69, gehört zu den produktivsten Musikern des Landes. Demnächst erscheinen zwei neue CDs: Spuren – Willi Resetarits & Stubnblues Live in Konzeat Nr. 6 sowie eine Vertonung von 16 Texten des einzig wahren H. C. – H. C. Artmann.

Seit ein paar Jahren holt Resetarits den Ostbahn dann und wann aus dem Ruhestand zurück. Es gilt: "Rust never sleeps." Wer rastet, der rostet, und das darf dem Kurti nicht passieren. Der Zuspruch, den er dann erfährt, rechtfertigt jede Wiederkehr. Als er vor zwei, drei Jahren auf der Kaiserwiese im Wiener Prater auftrat, war nicht nur die Band kilometerweit zu hören, auch der Applaus den sie erntete. Ein Volksheld im besten Sinn. (Karl Fluch, 15.9.2018)