Die Teigtasche an sich ist eine der großen weltweiten Konstanten der Kochkultur – kaum eine Küche rund um die Welt kommt ohne eine eigene Version aus. Während aber einige wenige (Italien, China) jede Menge Presse bekommen, ist es um andere viel zu oft viel zu still – auch und vor allem um jene aus Osteuropa.

Ich habe mich in die osteuropäische Teigtasche in der Ukraine verliebt, vielleicht, weil ich nie in Warschau, dafür aber einige Zeit in Kiew sein und sehr viel essen durfte. Dort gibt es eigene, auf Teigtaschen spezialisierte Läden (gern modern-folkloristisch designt), von denen einige rund um die Uhr offen haben, und andere, in denen die Teigtaschen live, hinter Glas, gefertigt werden, ganz ähnlich wie in anderen Zentren der Teigtaschenkultur wie Schanghai oder Taipeh.

Foto: Tobias Müller

Was die Polen, Slowaken und andere EU-Osteuropäer Pierogi nennen, heißt dort wahlweise Wareniki oder, wenn es etwas kleiner ist, Pelmeni. Auf die Gefahr, von ukrainischen und polnischen Postern verbal gesteinigt zu werden, behaupte ich jetzt aber: Sie sind sich sehr ähnlich – und ganz genau gleich gut. Um die Verwirrung komplett zu machen: In Russland wird unter Piroggen ein relativ großes, gefülltes Hefebrot verstanden, das mehr einer Empanada ähnelt denn einer Teigtasche. Das Wort Pierogi selbst soll jedenfalls auf ein uraltes slawisches Wort für Fest zurückgehen, was auf die Bedeutung der Speise hinweist.

Foto: Tobias Müller

(Die sprachliche Verwirrung hat mir einmal einen etwas hektischen Vor-Silvesterparty-Tag eingebracht. Ich habe beim informellen russischen Catering – ältere Damen, die auf Bestellung kochen – zwei Säcke Piroggen bestellt und bei der Lieferung kurz vor Beginn der geplanten Teigtaschenparty gemerkt, dass es hier kulturelle Differenzen gibt.)

Meine liebste Variante von Piroggen ist eine Unterart, die als "russische Piroggen" bezeichnet wird. Russische Piroggen werden mit einer Mischung aus gestampften Erdäpfeln, Topfen und gerösteten Zwiebeln gefüllt, eine doppelte Portion Kohlehydrate also, die theoretisch bedenklich klingt, aber praktisch erstaunlich gut funktioniert.

Fast der kulinarische Himmel

Die Zwiebel sorgen für Röstaromen und Süße, der saure Topfen schmilzt in die mehligen Erdäpfel, der Teig rundherum gibt den üppigen Wonneproppen Form, Halt und Biss. Gewürzt werden sie fast immer entweder mit ausgelassenem, knusprigem Speck oder einem ordentlichen Klecks fetten, am besten fast festen Sauerrahms. Wenn der von richtig guter Rohmilch stammt, dann kommt das Ganze trotz (oder gerade wegen) seiner Schlichtheit dem kulinarischen Himmel schon sehr nah.

Generell sind Pierogi/Wareniki näher dran an der italienischen als an der chinesischen Tradition: Sie werden vornehmlich in Wasser gekocht und nicht gedämpft oder gebraten, ihr Teig enthält meist Ei und wird tendenziell nicht zu dünn ausgerollt, sodass er noch einen merkbaren Biss hat. Im Gegensatz zu den beiden anderen großen Schulen wird die osteuropäische Teigtasche nicht nur salzig, sondern fast genauso oft süß gefüllt.

Foto: Tobias Müller

Bei Füllung und Topping aber wird auf Regiontypisches gesetzt: üppig, deftig, sauer und sehr gern mit Speck. Für die salzige Version sind Faschiertes, Pilze, (Sauer-)Kraut, saurer Topfen und Erdäpfel beliebte Füllungen, bei den süßen Teigtaschen kommen vor allem Topfen und diverse, ebenfalls gern leicht saure, Früchte zum Einsatz.

Das folgende Rezept für "russische Piroggen" stammt mehr oder weniger aus dem wunderschönem Buch "Altpolnische Küche und polnische Tischsitten", das in den 1970ern zuerst in Warschau, dann auch in der DDR auf Deutsch erschienen ist. (Ich danke Heinrich S. fürs borgen.) Laut Buch waren sie vor allem in der Gegend um Warschau sehr beliebt.

Foto: Tobias Müller

Noch mehr verliebt als in Piroggen habe ich mich in Kiew übrigens in Chinkali, die georgische Teigtasche. Sie ist irgendwo zwischen Ravioli und Xia Lang Bao angesiedelt und so ausgesprochen köstlich, dass das eine ganz eigene Geschichte ist.

Russische Piroggen für drei bis vier Esser

Teig:
1 großes Ei
150 Ml Wasser
350 Gramm Mehl
Salz

Füllung:
1/2 Kg Erdäpfel
150 Gramm guten, gern sehr sauren trockenen Topfens
1 rohes Ei
1 mittelgroße Zwiebel
Salz

Jede Menge frisch gemahlener schwarzer Pfeffer

Als Topping: Speck oder zerlassene Butter

Aus allen Teigzutaten einen Teig kneten (nicht zu kurz) und mindestens eine Stunde rasten lassen.

Foto: Tobias Müller
Foto: Tobias Müller

Wer Speck verwendet, schneidet ihn klein und lässt ihn über mittlerer Hitze langsam aus, bis er schön braun und knusprig ist. Herausnehmen und für später zur Seite stellen.

Dann die Zwiebeln klein hacken und in der Speckpfanne im Speckfett (oder eben in Butter) langsam braten, bis sie eine schöne, dunkle Farbe bekommen haben. Lassen Sie sich hier ruhig Zeit, beim Piroggenmachen gibt es ohnehin nicht viel zu tun. Kochen Sie währenddessen die Erdäpfel, bis sie richtig schön weich geworden sind und fast von selbst zerfallen.

Mischen Sie alle Zutaten für die Füllung zusammen.

Foto: Tobias Müller

Rollen Sie Ihren Teig mit einer Pastamaschine aus. Er wird etwas feuchter und klebriger sein als mein immer noch hochgeschätzter perfekter Pasta-Teig, Sie sollten ihn also weniger dünn ausrollen. Das spart unnötige Frustration und sorgt dafür, dass das Ergebnis etwas kerniger, rustikaler ist, was durchaus erwünscht ist.

Foto: Tobias Müller

Stechen Sie mit einem Glas oder ähnlichem Gerät runde Scheiben aus. Die Altpolnische Küche empfiehlt einen Durchmesser von 6 cm, mir persönlich war das aber zu klein, weswegen ich auf 10 cm gesetzt habe.

Geben Sie auf jede Teigscheibe einen Klecks Füllung, dann falten Sie sie zu einem Halbkreis und drücken sie rund um die Füllung fest zusammen.

Foto: Tobias Müller

Einen großen Topf stark gesalzenen Wassers zum Kochen bringen und die Piroggen darin wie Ravioli kochen, etwa drei Minuten. Am besten mit einem Schaumlöffel herausheben.

Wahlweise mit Speck und Speckfett oder heißer brauner Butter begießen. Mit einem ordentlichen Klecks möglichst festen, möglichst guten Sauerrahms servieren.

Foto: Tobias Müller

Bei den Milchprodukten gilt: Wenn's irgendwie geht, Finger weg vom Supermarkt-Zeug. Richtig guten Sauerrahm gibt's zum Beispiel von diesen Menschen, in Wien zu kaufen hier oder hier. Wer mehr Tipps hat, bitte posten! (Tobias Müller, 16.9.2018)

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