Die Regierungsspitze verspricht: Die Reform wird durchgezogen.

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Das heimische Gesundheitssystem ist eine Baustelle. Legendär sind die Berichte des Rechnungshofes über die unzähligen Querfinanzierungen zwischen Bund, Ländern und Krankenkassen. Das System ist so kompliziert, dass es am Ende kein Mensch mehr versteht und niemand sagen kann, ob das Geld effizient eingesetzt ist.

Von daher ist die Überlegung der Regierung naheliegend, in der Sozialversicherung eine zentralere Steuerung aus Wien zu versuchen. Österreich ist zu klein, um neun verschiedene Brötchen zu backen. Man kann auch diskutieren, ob es derart viele Selbstverwaltungsgremien (Generalversammlung, Vorstand, Generalversammlung) wie derzeit geben muss und ob dafür so viele Funktionäre benötigt werden (allein die Generalversammlung der Wiener Gebietskrankenkasse hat 33 Mitglieder).

Machtkampf

Diese Dinge sollten keine Tabus sein. Klar ist aber auch: Die großen Probleme liegen woanders. Auch nach dieser Reform werden die Länder weiter für das Spitalswesen zuständig sein und unkoordiniert vor sich hinwerkeln. Dass sie diese Kompetenzen abgeben, ist unwahrscheinlich. Josef Moser dürfte sich berechtigterweise "Reformminister" nennen, sollte er sich hier durchsetzen.

Bis jetzt sind das aber Wunschträume. Was wir aktuell sehen, ist ein knallharter Machtkampf. Es geht nicht um inhaltliche Fragen, welche Leistungen für die Patienten angeboten werden sollen, sondern um die simple Frage, welche Fraktion welche Posten besetzen kann und wie sich die Mehrheiten dadurch verschieben. Wenn Kanzler Sebastian Kurz sagt, dass die Sozialversicherung früher "Spielwiese" der Parteien war, stimmt das natürlich. Nur hat sich daran nichts geändert.

Schwächung der Arbeitnehmer

Ziel der Regierung ist es, die Arbeitnehmervertreter (also Arbeiterkammer und ÖGB) zu schwächen und die Arbeitgebervertreter (also Wirtschaftskammer) zu stärken. Da Türkis-Blau offenbar auch den WKO-Funktionären nur bedingt über den Weg traut, werden auch die direkten Einflussmöglichkeiten der Koalition ausgebaut. Das ist quasi das Sicherheitsnetz, falls sich herausstellt, dass es noch zu viele nicht zum Türkisentum konvertierte Schwarze gibt.

In Summe soll also die Selbstverwaltung geschwächt werden. Über dieses Austriakum könnte man ja auch diskutieren. Verwalten Österreichs Arbeitskräfte und Selbstständige über das aktuelle System tatsächlich selbst das Gesundheitssystem? Werden Betriebsräte deshalb gewählt, weil man sie in einem Krankenkassen-Gremium sehen will? Wählen Unternehmer einen Wirtschaftskammer-Funktionär, weil sie im Bilde sind, was er oder sie in der Sozialversicherung bewirkt hat? Wohl kaum.

Unehrlicher Weg

Diese Debatte zu führen wäre für Türkis-Blau der ehrlichere Weg. Sie wollen die Selbstverwaltung nicht, also sollen sie das auch sagen. Dafür fehlt aber der Mut. Oder besser: Die Regierung ist sich wohl bewusst, dass ein derartiges Unterfangen zum Scheitern verurteilt wäre. Um die Selbstverwaltung komplett zu kippen, fehlen die Mehrheiten.

Da der direkte Weg also versperrt ist, versucht es die Koalition mit Kunstgriffen. Plötzlich haben die Vertreter von 500.000 Selbstständigen mehr Einfluss als die Vertreter von 3,7 Millionen Unselbstständigen. Letztere werden als Pfründekaiser verunglimpft. Mittelfristig könnte sich dieser Kurs rächen. Erfolgreiche Manager wissen: Änderungen, die vom Apparat mitgetragen werden, gehen reibungsloser und meist kostengünstiger über die Bühne. Oktroyierte Reformen erzeugen immer Widerstand. (Günther Oswald, 14.9.2018)