Eines der Prestigeprojekte von Türkis-Blau wurde am Freitag vorgestellt: die Reduktion der Sozialversicherungsträger von 21 auf fünf. Widerstand ist für Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache erwartbar. "Ich verstehe, dass Funktionäre, die ihre Pfründe verlieren, diesen nachtrauern", formulierte es Strache. Kurz warf den Kassenfunktionären vor, in der Vergangenheit Funktionärsinteressen in den Vordergrund gestellt zu haben. Ein Überblick über die wichtigsten Fragen zum Thema:

Die neue Sozialversicherung

Frage: Was ändert sich für die Patienten und die SV-Mitarbeiter?

Antwort: Nicht viel. Bei der Reform geht es primär um organisationsrechtliche Fragen. Auch die Mitarbeiter sollen alle bleiben. Von rund 19.000 Beschäftigten im Verwaltungsbereich sollen aber 30 Prozent in den kommenden zehn Jahren durch Pensionierungen eingespart werden. Die Leistungsharmonisierung soll fortgesetzt werden. In vielen Bereichen ist die aber bereits passiert. Leistungsunterschiede gibt es vor allem noch zu den öffentlich Bediensteten, ihre Kasse wird jetzt mit den Eisenbahner fusioniert.

Frage: Warum sind die Arbeitnehmervertreter so empört?

Antwort: Weil es zu Änderungen im Machtgefüge der Sozialversicherung kommt. Bisher hatten die Arbeitnehmer in den Entscheidungsgremien der Gebietskrankenkassen (GKK) eine Mehrheit. Die Arbeitgeber waren in den Kontrollgremien dominierend. Künftig werden die GKKs zu Landesstellen der neuen Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) degradiert, im Verwaltungsrat, dem neuen starken Gremium, gibt es ein Stimmengleichgewicht von Arbeitgebern und -nehmern. Zudem sind die Landesstellenausschüsse so konstruiert, dass Blaue zum Zug kommen könnten. Ebenfalls für Kritik sorgt, dass die Kassenchefs alle sechs Monate wechseln sollen (Rotationsprinzip).

Sozial- und Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein ist stolz auf ihr Baby, den rund 200-seitigen Gesetzesentwurf zur Kassenreform.
Foto: APA/Neubauer

Frage: Wenn es Gleichstand gibt, könnten die Arbeitnehmer ja blockieren, oder?

Antwort: Nicht wirklich. Sollten sich Arbeitnehmer und -geber nicht einig sein, kann das Sozialministerium bei Fusionsfragen entscheiden. Sozial- und Finanzressort bekommen auch ausgeweitete Aufsichtsrechte, können also stärker in die Selbstverwaltung eingreifen als bisher.

Frage: Die Selbstverwaltung der Berufsgruppen ist in der Verfassung verankert. Ist eine Schwächung nicht rechtlich heikel?

Antwort: Die Regierung ist von der Verfassungskonformität überzeugt. Verfassungsjurist Theo Öhlinger hat aber in mehreren Bereichen Bedenken. Er gilt als Experte bei Fragen der Selbstverwaltung und hat zahlreiche Gutachten zu dem Thema verfasst. Als "eindeutig verfassungswidrig" bezeichnet er die Ausweitung der Kontrollrechte für das Sozialministerium. Denn das "Aufsichtsrecht über alle wichtigen Fragen" sei nicht näher definiert.

Auch dass die Tagesordnung von SV-Gremien vom Ministerium festgelegt werden kann, sieht er als Eingriff in die Selbstverwaltung. Kritisch bewertet Öhlinger, dass im Verwaltungsrat der ÖGK künftig ein Gleichgewicht zwischen Dienstgebern und Arbeitnehmern herrschen soll: "Diese Bevorzugung der Dienstgeber ist eindeutig verfassungswidrig" – sind doch bei den Gebietskrankenkassen ausschließlich Dienstnehmer versichert.

Frage: Trotz Selbstverwaltung muss ja die Regierung den rechtlichen Rahmen für die Fusion abstecken. Warum könnte das trotzdem verfassungswidrig sein?

Antwort: Abgewickelt werden die Fusionen über einen Überleitungsausschuss ab April 2019. Öhlinger hat zwar Verständnis, dass für den Prozess eine kurze Frist vorgesehen ist. Allerdings kann, wie erwähnt, das Sozialministerium entscheiden, sollte ein Beschluss mit einfacher Mehrheit nicht zustande kommen. "Wenn das Gremium nicht selbst entscheiden kann, widerspricht das dem Prinzip der Selbstverwaltung", sagt Öhlinger dazu. Auch das sei daher verfassungswidrig.

Frage: Die Regierung will bis 2023 eine Milliarde einsparen, aus einer "Funktionärsmilliarde soll eine Patientenmilliarde werden", sagt Strache. Ist das plausibel?

Antwort: Nein. Die Entschädigungen für die Funktionäre machen nur wenige Millionen Euro pro Jahr aus. Auch sind nicht, wie von der Regierung behauptet, 2.000 Funktionäre tatsächlich im Einsatz, sondern nur 960 (der Rest sind Ersatzmitglieder). Künftig soll es jedenfalls nur rund 500 Funktionäre geben. Effektive Einsparungen kann die Nichtnachbesetzung von Personal bringen. Das dauert aber einige Jahre. (Marie-Theres Egyed, Günther Oswald, 14.9.2018)