Es gibt sie also doch: Alexander Petrow und Ruslan Boschirow. Eine Woche lang hatte das russische Außenministerium sich darauf fokussiert, die von Scotland Yard präsentierten Bilder als Fake zu entlarven und die Existenz der beiden mutmaßlichen Skripal-Attentäter infrage zu stellen, da erklärte Wladimir Putin ganz unschuldig und nebenbei auf dem Wirtschaftsforum in Wladiwostok, dass man "natürlich" wisse, was das für Leute seien. "Ich hoffe, dass sie selbst auftauchen und über sich erzählen. Ich versichere Ihnen, da ist nichts Kriminelles dabei", sagte er.

RT Deutsch

Wie auf Kommando meldeten sich die beiden daraufhin dann auch bei der Chefredakteurin des Kremlsenders RT Margarita Simonjan am Handy und kamen zum Interview, wo sie bestätigten, die Gesuchten, aber nicht die Täter zu sein. Sie seien "Geschäftsleute aus dem Mittelstand", in der Branche für Fitness- und Sportlerernährung tätig und häufig in Europa, um neue Produkte für den russischen Markt zu testen. In London seien sie aber gewesen, um sich von der Arbeit "loszureißen", in Salisbury zur Besichtigung von Kathedrale und Kirchenuhr.

Kritik an Interview

Überzeugt hat der Auftritt Petrows und Boschirows allerdings bei weitem nicht alle Beobachter. Im Büro der britischen Premierministerin wurde das Interview schon als "Beleidigung gegenüber der Denkfähigkeit der Öffentlichkeit" bezeichnet, im US-Kongress wird nun erst recht über die Verschärfung der Sanktionen gegen Russland diskutiert. Tatsächlich weist der Auftritt zahlreiche Ungereimtheiten auf, viele Fragen wurden entweder nicht beantwortet oder tauchten an neuer Stelle auf.

Die erste Frage, woher das Duo überhaupt die Telefonnummer Simonjans hatte, beantwortete die Journalistin zumindest selbst salopp auf Twitter: "Man muss dazusagen, dass mein Mobiltelefon jeder kennt, sogar die Kuriere, die am 8. März Blumen vorbeibringen", schrieb sie. Zudem hätten die Männer sich an sie gewandt, weil sie sie von ihren Sendungen und aus ihren sozialen Netzwerken her kannten und ihr vertrauten, fügte Simonjan hinzu.

Die zweite Aussage ist zumindest zweifelhaft – und zwar gleich aus mehreren Gründen: RT verweist zwar in der Eigendarstellung stolz auf ein Auditorium von 70 Millionen Menschen, doch die meisten Zuschauer hat der Sender zweifellos im Ausland, wofür er auch konzipiert wurde. Auf Antenne ist RT in Russland nicht zu empfangen, dementsprechend niedrig ist sein Rating. Beim TV-Marktanalyseunternehmen Mediascope taucht RT nicht unter den ersten 20 Sendern auf, die Reichweite liegt damit unter einem Prozent. Natürlich tritt Simonjan auch bei anderen Sendern ab und an als Gast auf, doch dies sind politische Talkshows.

Skripal-Affäre "unbekannt"

Petrow und Boschirow präsentierten sich gegenüber Simonjan jedoch als politisch völlig desinteressiert. Nicht einmal von der seit Monaten durch alle Medien gehenden Skripal-Affäre wollen sie gewusst haben, bevor nicht ihre eigenen Fotos über die TV-Bildschirme flackerten. Auch auf sozialen Netzwerken war die Aktivität der beiden extrem niedrig; die Recherchen hunderter Journalisten (darunter auch derer von RT) blieben daher ergebnislos.

Auffällig: Weder vor noch nach ihrem plötzlichen Auftauchen meldeten sich Bekannte oder Freunde, um ihre Version zu bestätigen. Petrow und Boschirow selbst dementierten zwar, GRU-Agenten zu sein, wollten jedoch weder ihre Pässe zeigen, die laut Angaben der Petersburger Nachrichtenagentur "Fontanka" bis auf die letzte Nummer identisch sind, noch irgendwelche Details aus ihrem Privat- und Arbeitsleben bekanntgeben.

Im russischen Geschäftsregister tauchen die Namen der beiden "Biznesmeni" jedenfalls nicht auf, womit ihre Andeutungen, Selbstständige zu sein, zumindest offiziell nicht zu überprüfen sind. Zudem versäumte es Simonjan zu fragen, warum die beiden gleich je zwei Rückflugtickets aus London nach Moskau gebucht hatten, eins für den Abend am 4. März (das sie nutzten) und eins für die Nacht zum 5. März. Zumindest bei touristischen Reisen – bei einer solchen das Duo eigenen Angaben nach auch noch ein Doppelzimmer buchte, um zu sparen – ist dies ungewöhnlich.

Gelohnt hätte sich in dem Interview sicher auch ein Nachhaken zu den Fotos, die die beiden angeblich in der Kathedrale von Salisbury von sich geschossen hatten. Gezeigt wurden die Bilder jedenfalls nicht. Womöglich beim nächsten Interview. Das jedoch haben sich Petrow und Boschirow verbeten. Sie wollten ihr Leben nicht der Presse ausliefern, so ihr Argument. Zur Klärung des Falls – und auch ihrer eigenen Lage – haben sie damit zumindest wenig beigetragen. (André Ballin aus Moskau, 14.9.2018)