Die Ukrainerin Gaponenko hat auf Deutsch geschrieben.


Wien – Eine Bibliothek ist gleichsam der natürlichste, aber auch der schwierigste Entfaltungsraum für einen Roman, der etwas auf sich hält. Ist sie doch von vornherein dazu bestimmt, Schauplatz literarischer Gelehrsamkeit zu sein. Doch wer ausgerechnet in Lesesälen Handlungsfäden spinnt, nimmt in Kauf, dass seinen Figuren noch vor jeder Beatmung unsanft die Luft abgeschnürt wird.

Ernest Herz, Titelheld in Marjana Gaponenkos neuem Roman Der Dorfgescheite, hat noch andere Schäden am Leib davongetragen. Er, der Mittelalterforscher als notorischer Frauenheld, ist nach einem Unfall mit einem Silvesterkracher Einäugiger unter lauter Sehenden. Herz, ein Zyniker vor dem Herren, an den er keinesfalls glaubt, wird zum Bibliotheksleiter in einem Chorherrenstift berufen. Dort soll er die Bestände sichten und, wenn möglich, "Digitalisate" anfertigen. Ein Wort, das der auf Deutsch schreibenden ukrainischen Autorin so gut gefällt, dass sie es sicherheitshalber gleich mehrfach wiederholt.

Herz wird auf vielerlei Art mitgespielt, und man weiß gar nicht recht, ob übel oder nicht. Der Verwalter im Kloster riecht nach Mottenkugeln. Der Prälat begegnet ihm jovial, hat aber, Teufel noch einmal, eine Pudelhündin zu seinen Füßen liegen. Das Radio spielt trotz mehrmaligen Senderwechsels bloß "Radio Gabriel", eine Art geistliches Erbauungsgequassel.

Beginnende Psychose

An Ernest Herz lassen sich womöglich alle Symptome einer beginnenden Psychose studieren. Und doch will einem der gesetzte Herr, den Bücher nicht im Geringsten interessieren, keineswegs plausibel werden. Sein Vorgänger, ein pädophiler Pole, ist einen haarsträubenden Suizid gestorben: von eigener Hand angezündet, sich vom Fensterbrett abstoßend.

Irgendwann gewahrt man an Herz die ebenso merkwürdige wie betrübliche Tendenz, es dem Lebensmüden in vielen Aspekten nachzutun. Da ist zum Beispiel im Ort am Fuße des Klosters eine Likörstube, wo ein wunderschöner Cherub mit niedergeschlagenen Augen den Avancen unseres Bücherwurms abwartend begegnet. Und da dämmert eine rund 800 Jahre alte Handschrift erbaulichen Inhalts im Aschekasten des Zimmerofens vor sich hin.

Ist das alles nur ein Gleichnis? Marjana Gaponenko, zuletzt mit Großpreisen überschüttet, lässt sich kaum jemals in die Karten blicken. Den Verweis auf den berüchtigtsten Bibliotheksroman der auch schon wieder furchtbar altmodischen Postmoderne bringt sie im Vorübergehen an: Schon einmal habe ein Mönch sich selbst angezündet, in Donna Rosa von Hubertus Eck (sic!) ... Signore Eco würde sich, wenn nicht bereits selig, vermutlich totlachen.

Von durchgängig lebensmüder Beschaffenheit ist auch Gaponenkos Buch, das mit seiner eigenen Kauzigkeit renommiert und ganz furchtbar verstiegen sein will, obwohl es ganz treuherzig linear erzählt.

Ungenützt bleiben die Chancen, mit der Bibliothek ein Verweissystem zu errichten und ein intertextuelles Spiel zu riskieren. Die Bücher, so sie denn überhaupt vorkommen, bleiben nach Industrieleim oder nach Moder stinkende Komparsen. Ernest Herz' Sturz aus den höchsten Höhen der Gewissheit findet überdies ohne theologisches Rüstzeug statt. Auch das ein sicherer Hinweis darauf, dass sich Gaponenko viel zu sehr auf ihre aparten Kulissen verlässt, anstatt mit der Furcht vor dem Höllenfeuer den gebührenden Ernst – oder eben Ernest, wie die Hauptfigur heißt – zu machen.

Gaponenkos Originalbeitrag zu einer genuin neuen manieristischen Literatur gleicht dem ein wenig freihändigen Hantieren mit aparten Gewürzen und anderen dick aufgetragenen Geschmacksstoffen. Ein Ort wie das Chorherrenstift weist nicht nur originelle Mönche auf. Der versoffene Hauselektriker hört auf den schönen Namen Herkulan Plochinger, ein Portier heißt Egilmar Gröbchen.

Attrappe des Manierismus

Und so wird man zwar auf das Laster des Lesens hingewiesen, auf das selbstsüchtige Verschlingen ungeeigneter und verderblicher Schriften. Im Roman Der Dorfgescheite enthalten sich aber alle weitgehend dieser bedenklichen Gewohnheit. Entstanden ist ein potemkinscher Bibliotheksroman, eine Art Attrappe des Hochmanierismus. Seine Menetekel aber bedeuten nichts – außer den nachdrücklich gestellten Anspruch auf eine forsch anzutretende, steile literarische Karriere. (Ronald Pohl, 17.9.2018)