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Entdeckte einst die Pop-DNA mit und will in Bälde nie mehr live auftreten müssen: Paul Simon, Meister sanfter Edelklänge. Nur auf Art Garfunkel sprechen Sie ihn bitte nicht an!

Foto: Vincent West / Reuters

Das Leben steckt zwar voller Überraschungen. Wirklich sicher kann man sich aber nicht sein, dass die Musik von Simon & Garfunkel heute bei jungen Menschen noch aus dem Handy quäkt. Möglicherweise erfährt sie bei Lagerfeuerabenden der katholischen Jungschar oder der Pfadfinder noch eine regelmäßige Aufführungspraxis. Immerhin kann man das "Lei-la-lei!!!" aus dem Lied The Boxer ebenso beherzt brüllen wie Textzeilen aus dem zeitlos zivilisationskritischen Opus magnum The Sound of Silence von 1964/65: "And the people bowed and prayed / To the neon god they made ..."

Paul Simon – "The Sound of Silence"
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Paul Simon selbst ist jedenfalls die Hälfte seines Lebens froh, dass er seine berühmtesten Lieder im Zeichen des zumindest klanglich weichen Folkrocks während der letzten Jahrzehnte höchstens noch ab und zu für sehr viel Geld gemeinsam mit Lebensfeind Art Garfunkel singen musste. Warum sich die beiden musikalischen New Yorker Parade-Softies jetzt genau nie wirklich grün waren, kann uns im Wesentlichen egal sein. Musik baut Brücken, man muss ja nicht selbst rübergehen.

Zwei wie Katz und Maus

Bevor sie sich Simon & Garfunkel nannten und in den späten 1960er-Jahren ähnlich viele warme Semmeln wie die Beatles verkauften, traten sie jedenfalls bezeichnenderweise als Tom & Jerry auf. Kenner der sadomasochistischen Zeichentrickfilmszene kennen sich aus: Zuschauen ist meist lustiger als mitmachen.

Solo fühlte sich Songwriter Paul Simon jedenfalls immer wohler. Während der letzten Jahrzehnte folgten weltmusikalische Erkundungen Afrikas, Südamerikas, der Karibik oder vor der eigenen Haustür im US-Süden. Alben wie Still Crazy After All These Years oder wie das Meisterwerk Graceland von 1986 zählen längst zum Kanon der Popgeschichte.

Derzeit befindet sich der große kleine Mann auf einer lange angekündigten Abschiedstournee. Das Alter, das Fliegen, der Zimmerservice. Am 22. September wird Simon im New Yorker Stadtteil Queens, in dem er aufgewachsen ist, nach über 60 Jahren von der Bühne abtreten.

Paul Simon – "You Can Call Me Al"
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Zuvor hat der 76-jährige Mitentdecker der Pop-DNA noch ein hübsches Abschiedsgeschenk veröffentlicht. Das Album In The Blue Light bietet nicht nur hochkarätige Musiker wie Gitarrist Bill Frisell, Trompeter Wynton Marsalis (der Teurere) oder Arrangeur Bryce Dessner von The National. Simon hat es sich darauf auch zur Aufgabe gemacht, abseits bekannter Titel wie You Can Call Me Al oder 50 Ways To Leave Your Lover bis ins Jahr 1973 zurückreichende, (vom Publikum) stiefmütterlich behandelte, bereits auf diversen Alben herauf von There Goes Rhymin' Simon bis zu So Beautiful Or So What von 2011 mitunter radikal harmonisch, rhythmisch und textlich zu bearbeiten, aus seiner Sicht zu vollenden. Lieber bestmöglich als Best-of. Eine rundum glückliche, nein: eine kluge Entscheidung.

"Can't Run But" von Paul Simons neuem Album "In The Blue Light".
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New-Orleans-Rumtata

Neben sanftmütigen Edelklängen zwischen Kammermusik, Coffeetable-Pop, ein klein wenig New-Orleans-Rumtata und schließlich auch ECM-Jazz für S-Klasse-Fahrer beeindruckt dabei in Liedern wie One Man's Ceiling Is Another Man's Floor, René and Georgette Magritte With Their Dog After The War oder Questions For The Angels vor allem Paul Simons noch immer fast glockenhelle Jünglingsstimme.

Paul Simons Neufassung von "René and Georgette Magritte With Their Dog After The War".
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Engel am Mikrofon

Ein Engel steht am Mikrofon. Nur den Namen Art Garfunkel sollte man in seiner Gegenwart lieber nicht erwähnen. Da kann ihm heute noch das Geimpfte aufgehen, dem alten Zausel. In den Siebziger- und Achtzigerjahren war das Hören von Simon & Garfunkel übrigens gar nicht soo cool. Aber das Problem hatte damals auch ein gewisser Leonard Cohen. Und? Eben. (Christian Schachinger, 19.9.2018)