Alles wird in kleinen Portionen ("Tapas") serviert und schmeckt durchwegs ordentlich.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Spurenelemente der einst wunderbaren Wirtshausfassade am Wiener Judenplatz sind noch erkennbar geblieben.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Daniel Hirschmann und Matthias Schwarzmüller sind Betreiber von Schwarz Hirsch, einem Catering, das von der Stadionverpflegung für SK Rapid über sogenannte Traumhochzeiten bis zur Ausrichtung des Kanzlerfestes von Sebastian Kurz so ziemlich alles macht. Was ihnen bislang aber gefehlt habe, sagt Hirschmann, sei ein Lokal, an dem sich die Identität des Unternehmens festmachen ließe. "Ich lasse meine Hochzeit von den Feinkosterei-Leuten ausrichten": Wenn Kunden so etwas erzählen könnten, würde dies dem Geschäftsgang entscheidend guttun, meint er. Weshalb es jetzt tatsächlich ein Lokal mit genau diesem Namen gibt – und nicht irgendwo, sondern im Herzen der Wiener Innenstadt.

Man kann diskutieren, ob er gut gewählt ist. Okay, es kommt "kosten" drin vor, "fein" noch dazu – und man soll hier schließlich kosten können, wie fein das Essen am ganz großen Tag schmecken wird. So ein Kunstname lässt sich also wunderbar argumentieren. Aber irgendwie sieht er auch recht traurig und unlebendig aus, wenn er schließlich überm Lokal prangt, dort, wo früher das Gasthaus zum Scherer war, am Judenplatz, einem der allerschönsten Orte der Stadt. Gerade hier hätte man sich ein Lokal mit etwas mehr Charakter und Haltung, zumindest mit einer erkennbaren Persönlichkeit hineinwünschen wollen.

Brötchen

Der alte Scherer war schon lange kein tolles Wirtshaus mehr. Was ihn auszeichnete, war die radikal zurückgenommene Fassade, ein Monument endgültiger Wiener Wirtshauspracht. Immerhin, die uralten, bis zum Boden reichenden Fensterläden durften bleiben. Rundherum wurde eine altertümelnde Portalkulisse angeklebt, angesichts derer dem Denkmalamt (Weltkulturerbe!) mit Sicherheit ganz warm wird ums Herz.

Zu essen gibt es einerseits Brötchen, die deutliche Anleihen an den legendären Kameel-Brötchen nehmen und aus wirklich gutem, speziell von Joseph gebackenem Kastenbrot bestehen.

Belagstechnisch lassen sie halt genau jenen eigenwilligen, leicht schrägen Charakter (Linsen! Rotkraut! Beinschinkenfettn!!) vermissen, der die Vorbilder Kult werden ließ: Rehverhackertes klingt zwar gut, schlägt in der Kombination aus intensivem Rauchton und Preiselbeerschmiere aber recht aufdringlich am Gaumen auf; Entenbrust (schon wieder Rauchware) mit klebrigem Curry-Chutney geht komplett daneben; der Beinschinken ist ebenso niedergeräuchert und nicht handgeschnitten. Einzig der Tiroler Aufstrich, eine in bemerkenswertem Rosa gehaltene Kreation mit Paprikawurli weckt kranke, aber keineswegs unattraktive Reminiszenzen an Pikantwurst – in der Richtung ließe sich weiterarbeiten!

Klein-Österreich

Andererseits aber kann man von einer umfangreichen Speisekarte wählen, lauter Austro-Klassiker von Backhendl mit Erdäpfel-Vogerlsalat über geschmorte Kalbsvögerln und knusprige Blunzen bis zu Rindsgulasch und Wiener Schnitzel, das mit Heurigen in der Schale (?) zu Tisch kommt.

Wird alles in kleinen Portionen ("Tapas") serviert, kostet – mit Ausnahme des deutlich teureren Beef Tartares – um die fünf, sechs Euro je Teller und schmeckt durchwegs ordentlich, jedenfalls eindeutig besser, als man's im ganz normalen Wirtshaus erwarten darf. Aber deswegen noch lang nicht wirklich gut.

Die Schmorsäfte der Schöpfgerichte (Schweinsbackerln, Gulasch, Kalbsvögerl, ...) sind tadellos, was auch hier ein bisserl fehlt, ist Charakter. Den hat ausgerechnet das Beuschel, mit zahllosen, winzigen Nonpareilles-Kapern und vielen Gurkerln sehr schwungvoll abgeschmeckt, eines der echt guten Beuscheln der Stadt. Wer mittags lieber nicht zu viel isst und der heimischen Küche verfallen ist, wird hier um wenig Geld durchaus nicht unglücklich werden. (Severin Corti, RONDO, 21.9.2018)

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