Student, Autor, Aktivist: Der Steirer Max Zirngast wurde am 11. September von der türkischen Polizei in seiner Wohnung in Ankara festgenommen. Die Staatsanwaltschaft versucht offenbar Verbindungen des 29-Jährigen zu Terrorgruppen zu konstruieren.

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Die türkische Justiz schöpft im Fall Max Zirngast die volle gesetzlich mögliche Frist für einen Polizeigewahrsam ohne richterliche Entscheidung aus. Die Staatsanwaltschaft in Ankara erhielt am Dienstag vom Gericht die Bewilligung für eine zweite, letzte Verlängerung von vier Tagen, um ihre vorläufigen Ermittlungen gegen den österreichischen Studenten und Autor zu Ende zu bringen. Spätestens am Samstag muss ein Richter über die Freilassung des 29-Jährigen oder aber seine Überstellung in die Untersuchungshaft entscheiden.

Wer sage da, der Ausnahmezustand in der Türkei sei zu Ende, empörte sich Zirngasts Anwalt Tamer Doğan. Volle zwölf Tage werde sein Mandant nun festgehalten werden.

Der nach dem Putschversuch im Sommer 2016 verhängte Ausnahmezustand (auf Türkisch abgekürzt "Ohal") wurde nach der Wiederwahl von Staatschef Tayyip Erdoğan vor drei Monaten nicht mehr verlängert. An dessen Stelle traten verschärfte Sicherheitsgesetze, die gleich für drei Jahre gelten. Sie treffen nun auch den Österreicher Zirngast.

Ankara ignoriert Kanzler

Zirngast, seit 2015 Student der politischen Wissenschaften an der Technischen Universität des Nahen Ostens in Ankara, war am Dienstag vergangener Woche von der Polizei aus seiner Wohnung abgeführt worden. Der Steirer wird seither in einer Zelle am Hauptsitz der türkischen Polizei in Ankara festgehalten. Er hat Kontakt zu seinem Anwalt, ein Besuch von Botschafterin Ulrike Tilly oder anderen diplomatischen Vertretern Österreichs ist in der Zeit des Polizeigewahrsams jedoch rechtlich nicht erzwingbar. Den Aufruf von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), die türkische Justiz möge die Vorwürfe rasch konkretisieren oder Zirngast freilassen, ignorierte die politische Führung in Ankara.

Der ermittelnde Staatsanwalt ist Yarcan Mutlu. Er gehört bei der Staatsanwaltschaft in Ankara seit Juli der Abteilung zur Untersuchung von Terrorverdächtigen an. Zirngast schrieb neben seinem Studium Beiträge über die türkische Politik für linksgerichtete Onlinemagazine im Ausland und für die in Berlin erscheinende Wochenzeitung "Junge Welt". Die linke türkische Gruppe Aktionspartei für soziale Freiheit (TÖPG) bezeichnet ihn als einen ihrer Genossen. Zirngast engagierte sich auch für Kinder aus einkommensschwachen Familien in Ankara, für die er im Sommer Freizeitlager mitorganisierte.

Schwer belegbarer Terrorvorwurf

Berichte regierungsnaher Medien aus der Vorwoche legen nahe, dass Staatsanwalt Mutlu eine Verbindung Zirngasts zur illegalen, wenig bekannten kommunistischen Splittergruppe TKP/Kıvılcım zu konstruieren versucht. Zusammen mit Zirngast waren in Ankara zwei weitere linke Aktivisten und ein dritter Aktivist der TÖPG in der Grenzprovinz Hatay festgenommen worden. Worin bei alldem ein Verdacht auf terroristische Aktivitäten bestehen soll, ist bisher nicht klar geworden.

Dass die Staatsanwaltschaft nun zweimal den Polizeigewahrsam von Zirngast verlängern ließ, ist für seinen Anwalt nur ein Beweis dafür, wie schwer sich die Justiz tut, belegbare Anschuldigungen zu finden, die dem Richter vorgelegt werden könnten.

Politische Geisel?

Andererseits kann man die Hartnäckigkeit, mit der sich die türkische Justiz an den Österreicher klammert, auch als politische Absicht interpretieren. Die österreichische Regierung, die sich als einzige in der EU dezidiert auf einen Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei festgelegt hat, soll Ankaras Ablehnung zu spüren bekommen. Zirngast müsste dann ähnlich wie die derzeit inhaftierten oder festgehaltenen US-Amerikaner als politische Geisel angesehen werden.

Diese Auffassung vertrat die ehemalige grüne Nationalratsabgeordnete Berîvan Aslan dieser Tage in einem Beitrag für das türkische Exil- und Dissidenten-Nachrichtenportal "Ahval". Erdoğans "Geiselpolitik" sei allerdings weit mehr ein Zeichen für die Verzweiflung in Ankara. Angesichts der großen Wirtschaftsprobleme versuche der türkische Staatschef, die Europäer mit solchen Geiselnahmen zu Hilfsleistungen zu zwingen, argumentiert Aslan.

Zirngast soll für seine journalistischen Arbeiten keine Akkreditierung in der Türkei gehabt haben. Das wird ihm wohl zum Vorwurf gemacht werden, auch wenn sehr diskutabel ist, ob hier und da erschienene politische Analysen als journalistische Korrespondententätigkeit zu verstehen sind.

Denkbar ist auch, dass die Behörden das politische und soziale Engagement des Österreichers in der Türkei nicht innerhalb des Rahmens eines Studentenvisums sehen. Dies könnte am Ende allenfalls zur Ausweisung von Zirngast führen, schwerlich aber zu Terroranschuldigungen und einer Untersuchungshaft. (Markus Bernath, 19.9.2018)