Viktor Orbáns Regierungspartei Fidesz gehört der konservativen Fraktion im Europaparlament an. Die stimmte allerdings für die Einleitung des Artikel-7-Verfahrens gegen Ungarn.

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Nach der Einleitung eines Rechtsstaatsverfahrens gegen Ungarn durch das Europäische Parlament kommt die nationalkonservative Regierung in Budapest nicht zur Ruhe. In der Nacht auf Mittwoch veröffentlichte sie auf ihrer Facebook-Seite ein knapp halbminütiges Propagandavideo. Zu dramatischen Musiksequenzen sagt da der Sprecher: "Die einwanderungsfreundliche Mehrheit im Europaparlament will uns zum Schweigen bringen, weil wir unsere Heimat und Europa mit einem Grenzzaun schützen."

Tatsächlich hatte sich am Mittwoch vor einer Woche im Straßburger Parlament eine satte Mehrheit gefunden, um für das Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn zu stimmen. Die Grundlage dafür bildete der Bericht der Grünen-Abgeordneten Judith Sargentini. Dieser beschreibt die systematische Einschränkung von Freiheitsrechten und Unterdrückung kritischer Stimmen in dem seit 2010 von Premier Viktor Orbán regierten Land. Vom ungarischen Grenzzaun ist darin gar keine Rede.

Peinlich für Orbán, dessen Regierungspartei Fidesz der konservativen Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) angehört: Deren Abgeordnete stimmten mit großer Mehrheit für die Einleitung des Sanktionsverfahrens, die ÖVP-Mandatare unter ihnen taten dies geschlossen. Dabei war Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz bisher nahezu ein Liebling von Ungarns Regierung. Sein Werben um Verständnis für osteuropäische Demokratie-Muffel wie Orbán, sein sanftes Fordern, auf diese "nicht herabzusehen", hatte ihm im offiziellen Budapest viele gute Vibes eingebracht.

"Erpresster" Bundeskanzler

Umso hasserfüllter fallen nun die Reaktionen nach der Positionierung der Kurz-Partei in der Straßburger Abstimmung aus. Der Wiener Kanzler sei ein "Verräter", polterte Orbáns Leibkommentator Zsolt Bayer am Mittwoch im Regierungssprachrohr "Magyar Idök". "Mit irgendetwas wird Kurz erpresst, wenn er innerhalb von 24 Stunden alles, wozu er sich bekannte, und jeden, den er einen Kampfgefährten nannte, verrät", deutete Bayer verschwörungstheoretisch an. Von wem und womit Kurz erpresst werden sollte, verriet der für seine mitunter antisemitischen Schimpfkanonaden berüchtigte Brachialpublizist in seinem Leitartikel nicht.

In Erinnerung an alte historische Wunden beschimpfte Bayer Kurz als "unzuverlässigen, feigen Labanzen". Dies ist ein abwertender Begriff für jene kaiserlichen österreichischen Truppen, die zu Beginn des 18. Jahrhunderts den antihabsburgischen Aufstand des ungarischen Adeligen Ferenc II. Rákóczi niederschlugen. "Unmittelbar nach dem ekelhaften Verrat", so Bayer, "rennt der erpresste Kurz zu Merkel und Macron, um mit ihnen zu mauscheln und um Einverständnis mit ihnen zu demonstrieren. Was kein Wunder ist, denn die Geschichte lehrt uns, dass es stets am leichtesten ist, im Verrat und in der Ehrlosigkeit einverstanden zu sein."

Nach dem Straßburger Votum stellt sich die Frage, ob und wann die Fidesz-Partei aus der EVP ausgeschlossen wird oder diese von sich aus verlässt. Orbán scheint es darauf anzulegen, sie einer zeitnahen Beantwortung zuzuführen. (Gregor Mayer aus Budapest, 20.9.2018)