Manchmal muss man sich an den Kopf greifen: Sebastian Kurz und Christian Kern im Parlament.

Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Herr Mag. Thomas Drozda ist ein kultivierter Mann. Theatermanager war er einmal in einem früheren Leben, Minister auch. Was er jetzt ist, weiß er vermutlich selber noch nicht so wirklich. Führender Oppositionspolitiker? Das versucht er zu sein. Kulturchronist? Das kann er gut. Was er jedoch am besten kann, ist politischer Kommentator mit Hang zu eindeutigem Sprachstil, wenn es um die Regierung geht. Da wird dann in den sozialen Medien der Bundeskanzler ganz schnell "inhuman". Dessen "Hochmut" käme vor dem Fall. Weil ihre, des Kanzlers und des Wirtschaftskammerpräsidenten (allesamt "eine arrogante Partie junger Männer"), "Hybris" ihresgleichen sucht. Sie würden die Kelsen-Verfassung zumindest teilweise verachten.

"Kasperl" Pándi

Und weil der vormalige Herr Minister gerade so schön in Fahrt ist, bezeichnet er deutlich und unmissverständlich den innenpolitischen Kommentator und einen der Chefredakteure der "Kronen Zeitung", Claus Pándi, als, no als was denn schon? Als " Kasperl".

Drozda ist da kein Einzelfall, der ehemalige Kanzlerberater und – zumindest nach seiner eigenen Wahrnehmung – Autor der Plan-A-Rede Herrn Kerns, Rudi Fußi, nennt Sebastian Kurz auf Twitter unter anderem einen "Rotzbuben" und verwendet den Nachrichtendienst Whatsapp auch so, dass sich jetzt die Staatsanwaltschaft damit beschäftigen muss.

Wenn man Abgeordneten und Medien glauben darf, ist der Ton in der politischen Szene dermaßen tief, dass man es nicht glauben möchte. Da werden dann Flüchtlinge zu "Höhlenmenschen", Sexismen mannigfacher Art kommen vor. Kurz, es ist auf gut Wienerisch zum Kotzen.

Der Demokratie ist die Sprache abhandengekommen. Der Duktus der Sprache ist grenzwertig geworden. Debattenkultur, das war einmal. Hinhauen, bis der Gegner nicht mehr aufsteht, das ist jetzt.

Was die Protagonisten des neuen Stils in der österreichischen Politik damit bezwecken – man weiß es nicht. Es erschließt sich auch nicht, wieso Menschen mit an sich guter Kinderstube, die beruflich erfolgreich sind, dazu bringt, aufeinander einzuschlagen. Denn einmal ganz abgesehen von der Tatsache, dass es nicht sehr klug ist, mit dem politischen Gegner, mit dem man nach den nächsten Wahlen unweigerlich Verhandlungen führen muss (will man eine Regierung bilden), jeden Tag im Clinch zu sein, öffnen die Protagonisten die Büchse der Pandora.

Gebrochene Dämme

Wenn die Dämme einmal brechen, gibt es bald kein Halten mehr. Wenn Politiker immer mehr beginnen, die Grenzen auszuloten, zu probieren was reingeht, dann verschieben sich die Grenzen bald. Und oft haben sie sich bereits verschoben.

Wenn etwa das Menschheitsverbrechen des Holocaust zur Gesangsfolklore Besoffener im Bierkeller wird. Und offenbar niemand was dabei findet, dass ein Mitkamerad, der darob schon einmal zurücktreten musste, plötzlich wieder zu Amt und Würden kommt, nach dem Motto "Sag'ma, es war nix". Wenn Leute, die dabei erwischt wurden, wie sie mit einem verurteilten Neonazi den Geburtstag ihres Führers feierten, plötzlich akzeptabel werden, dann ist das ein Verschieben der Grenzen, des guten Geschmacks und des Grundkonsenses der Zweiten Republik, die von Leu- ten gegründet wurde, die teilweise miteinander im Konzentrationslager saßen.

Jenseits des Tolerierbaren

Wenn nach den Erfahrungen mit dem sogenannten tausendjährigen Reich heute ein auf die Verfassung angelobter Innenminister daher ausführt, dass er Menschen an dafür bestimmten Orten "konzentrieren" will, ist das nur ein Beispiel von vielen, dass bereits eine Verschiebung der Sprache zu einem Punkt weit jenseits der roten Linie des Tolerierbaren stattgefunden hat.

Erinnern wir uns: Es begann etwa mit der Bezeichnung des Parlaments der Weimarer Republik als "Quatschbude", und es endete mit über 50 Millionen Toten. Das ist jetzt natürlich ein sehr überzogener Vergleich. Und ist es wiederum nicht. Er zeigt, zugegeben drastisch, wohin der Missbrauch der Sprache führen kann. Der Sprache, der die Taten folgten. Weil das menschliche Gewissen durch die immer wieder neuen Grenzen des bisher im wahrsten Sinn des Wortes Unsäglichen abgestumpft und indoktriniert wurde. Von Akteuren, die sich etwas dabei dachten.

Mit "Das wird man ja noch sagen dürfen" und mit Hinweis auf die Meinungsfreiheit wird das bewusste Ablegen jeglichen Abstandes nicht zu entschuldigen sein. Rabulistik wird nicht zum Ziel führen, sondern höchstens ins Verderben. Es gilt wachsam zu sein.

Wenn auch die sozialdemokratische Ikone Kreisky selber ein Rabulist ersten Ranges war, so war das noch eine andere Zeit. Wenngleich die Menschen weniger hatten als heute, so hatten sie doch etwas, das heute fehlt: eine Aufstiegsperspektive. Da verzieh man dem Sonnenkönig, der einen Publizisten als "Würstel" bezeichnete. Eine Gesellschaft mit Zukunft hält abseitige Brachialrhetorik aus.

Demokratische Sprache

Heute, in einer Gesellschaft, die von Abstiegsängsten durchdrungen und daher zukunftsängstlich ist, sieht es schon ganz anders aus. Da kann ein unbedachtes "Kasperl" oder ein sehr wohl bedachtes "konzentrieren" nicht wiedergutzumachende Schäden anrichten. Die dafür Verantwortlichen, die es in sämtlichen Lagern betrifft, sind daher aufgerufen, der Demokratie die demokratische Sprache wiederzugeben.

Bevor sie selber und alle anderen Opfer ihrer Redeverwahrlosung werden: lernen sie wieder wichtige Worte wie Soziales, Toleranz, Ethik, Moral und Werte. Diese Worte und das dazugehörige Verhalten haben unsere Demokratie groß und stark gemacht. (Hans-Jörgen Manstein, 19.9.2018)