Christian Kern hat den Medienrummel wohl schon einmal mehr genossen als in den vergangenen Tagen.

Foto: Christian Fischer

Wien – Auch an Tag zwei nach der völlig überraschenden Ankündigung Christian Kerns, den Parteivorsitz aufzugeben, ließ sich die Gemütslage vieler Genossen in zwei Worten zusammenfassen: Entsetzen und Ratlosigkeit. Seit Kern bekanntgegeben hat, als Spitzenkandidat der österreichischen und der europäischen Sozialdemokraten in die EU-Wahl 2019 ziehen zu wollen, wird in der Partei heftig diskutiert, wer am ehesten in der Lage wäre, die SPÖ in dieser schwierigen Phase zusammenzuhalten.

Bures als Bundespräsidentin

In Wien und im Burgenland gibt es nach STANDARD-Informationen weiter Bestrebungen, die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures noch umzustimmen. Sie hatte am Mittwoch klar deponiert, nicht zur Verfügung zu stehen. Schon länger wird in SPÖ-Kreisen kolportiert, dass die 56-Jährige bei der nächsten Bundespräsidentenwahl 2022 antreten möchte.

Der ebenfalls genannten Ex-Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner, die auch Kern favorisieren soll, wird nachgesagt, zu wenig in der Partei verankert zu sein. Die Frage ist auch, ob sie glaubhaft für eine kantige Oppositionsarbeit stehen kann. Im Gegensatz zu anderen SPÖ-Granden wie dem Burgenländer Hans Peter Doskozil und dem Kärntner Peter Kaiser, die kein Interesse am Bundesvorsitz bekundet haben, hat sie sich auch noch immer nicht öffentlich erklärt.

Männer mit Selbstvertrauen

Neben Rendi-Wagner und Bures wird auch noch ein paar Männern nachgesagt, Interesse am Vorsitz zu haben. Dazu zählt etwa Ex-Minister Jörg Leichtfried. Ihm wurde schon bescheinigt, EU-Spitzenkandidat und SPÖ-Frontmann für die steirische Landtagswahl 2020 werden zu wollen. Beide Posten sind bereits vergeben: an Kern und Michael Schickhofer.

Ebenfalls immer an der Gerüchtebörse gehandelt: Bau-Holz-Gewerkschafter Josef Muchitsch, der auf Rückhalt im mächtigen Gewerkschaftsflügel setzen könnte.

Oder eben doch Bures. Sie wird von einem Genossen so beschrieben: "Ihre klare Festlegung hat sicher Gewicht. Aber wenn man ihr klarmacht, dass die Partei den Bach runtergeht, ist sie so loyal und so viel Funktionärin, dass sie es macht." Man brauche jetzt auch keine Festlegung auf einen Spitzenkandidaten für die nächste Nationalratswahl, sondern jemanden, die der Partei wieder Selbstvertrauen gibt. In Deutschland sei es zudem gang und gäbe, dass Parteivorsitzender und Spitzenkandidat nicht ident sein müssen.

Zahnarztassistentin in höchsten Ämtern

Bures ist vor fast 40 Jahren der SPÖ beigetreten und eine der erfahrensten Politikerinnen in der österreichischen Sozialdemokratie. Sie gilt als pragmatische Parteisoldatin – oder, wohlwollender ausgedrückt: als Sozialdemokratin aus tiefster Überzeugung. Aufgewachsen ist die gelernte Zahnarztassistentin mit ihren fünf Geschwistern und ihrer alleinerziehenden Mutter in Wien-Liesing.

Im Jahr 1980 beginnt sie als Sekretärin in der Sozialistischen Jugend zu arbeiten. Dort lernt sie Alfred Gusenbauer und Werner Faymann kennen. Beide werden später als Kanzler rote Topjobs mit Bures besetzen. Sie war Bundesministerin für Frauen, Medien und öffentlichen Dienst. Sie wurde SPÖ-Bundesgeschäftsführerin, dann stieg sie zur Verkehrsministerin auf. Nach dem Tod von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer übernahm Bures den Vorsitz im Parlament – das zweithöchste Amt im Staat.

Viele Fans in der Partei

Kurz war sie sogar quasi Bundespräsidentin: Wegen der Wiederholung der Wahl übernahm sie gemeinsam mit den beiden anderen Nationalratspräsidenten kurzfristig die Amtsgeschäfte des Staatsoberhaupts.

In der Partei ist Bures beliebt. Sie hatte sich als eine der Ersten für Michael Ludwig als Nachfolger Michael Häupls ausgesprochen. Der bezeichnet sich als ihr Fan. Auch Mitarbeiter berichten fast nur Gutes über sie. Bloß, das sagen auch viele: Sie ist mehr strebsam als sympathisch. (Katharina Mittelstaedt, Günther Oswald, 20.9.2018)