Beeindruckend: Anna Maria Pammer als "Männerhasserin" in Gerhard Schedls Oper "Julie & Jean".

Foto: Armin Bardel

Wien – Beziehungen können zur Hölle werden. Boris und Lilly Becker, Angela Merkel und Horst Seehofer, Itchy und Scratchy: Sie alle können davon einen Liederabend in Moll singen.

August Strindberg erschuf die Grafentochter Julie und ihren Kammerdiener Jean seinerzeit zum Zwecke der Veranschaulichung seines abstoßenden Welt- und Menschenbildes. Der schwedische Schriftsteller hat das adelige Fräulein als "modernen Charakter" entworfen: "Das Halbweib, die Männerhasserin" nimmt sich, was sie will (ihren Diener Jean), also bestraft sie der Frauenhasser Strindberg mit ihrem Bühnentod.

Das Ringen der Geschlechter

Seit 1889 arbeiten sich Julie und Jean auf den Bühnen der Welt aneinander ab, seit 2003 zusätzlich auch in einer Opernfassung von Gerhard Schedl (Musik) und Bernhard Glocksin (Libretto). Julie & Jean heißt das Werk, das Ringen der Geschlechter ist als "Match in 12 Runden" konzipiert. Zur (stark gekürzten) Textebene Strindbergs hat Glocksin noch Traumszenen hinzugefügt; ein Chor predigt das Messordinarium.

Dieses kleine Latinum entpuppt sich wie bei der Uraufführung vor 15 Jahren hier im Semper-Depot als Schwachpunkt des Werks. Regisseur Carlos Wagner inszeniert den Chor zwar gekonnt als eine zwischen Dekadenz, Arroganz, Voyeurismus und Ennui herumchampagnisierende "feine" Gesellschaft (Kostüme: Anna Kreinecker), aber Schedls an sich fulminante, vielgesichtige kompositorische Performance schmiert bei den kirchenmusikalischen Evokationen gern ins Banale ab.

Sinnliche Klangwelten

Doch abgesehen davon kann man gar nicht genug schwärmen von der expressionistischen Musik des zu früh Verstorbenen: In den Dialogszenen quillt sie über vor Lebendigkeit; in der ruhigeren Traumszenen kreiert Schedl sinnliche Klangwelten. Walter Kobéra und das Amadeus Ensemble-Wien setzen die prallvolle Partitur, vom laschen Beginn abgesehen, beeindruckend um.

Beeindruckend auch die Leistung der beiden Solisten: Anna Maria Pammer bewältigt die anspruchsvolle Partie der Julie mit einem fülligen, und doch fokussierten Sopran, der nur in der Spitze etwas schrill wird. Adrian Eröd mischt seinem Jean virtuos Verächtlichkeit und Abscheu bei und gewährt seinem klangmächtigen Bariton vollen Auslauf. Das kann im Semper-Depot mitunter gefährlich werden, fühlt man sich als Zuhörer in dieser Akustik doch oft, als würde man im Inneren eines Megaphons sitzen.

Vertikale Wege

Carlos Wagner ersetzt Pammer und Eröd in den Traumszenen zum Teil durch Tänzer (Pamina Milewska, Will Lopes). Aus einem Loch im eingezogenen schwarzen Plafond fallen zwei Stoffbahnen wasserfallartig zu Boden: vertikale Wege vom Unbewussten zum Bewussten, die von den Tänzern in beide Richtungen benützt werden (Bühne: Andrea Cozzi). Beifall für einen spannenden Abend, einen K.O. hätte sich am Ende lediglich Strindberg verdient. (Stefan Ender, 21.9.2018)