Jeremy Corbyn beim Parteitag in Liverpool.

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London – Die britische Premierministerin Theresa May sieht sich im Tauziehen um den Brexit mit einer offenen Neuwahlforderung der oppositionellen Labour Party konfrontiert. "Die beste Art, das zu regeln, sind vorgezogene Neuwahlen", sagte Labour-Chef Jeremy Corbyn am Samstagabend vor Anhängern in Liverpool. Dabei machte er klar, dass Labour zu keinen Kompromissen bezüglich des Brexit bereit sei.

Angesichts des wachsenden innerparteilichen Widerstands gegen ihren weichen Brexit-Kurs muss May auf eine Verständigung mit der Labour Party hoffen, um eine Mehrheit für ihren Brexit-Kurs im Unterhaus zustande zu bringen. Corbyn signalisierte diesbezüglich aber Härte. Die von Labour aufgestellten "sechs Tests" würden auf jeglichen Deal Anwendung finden, betonte er. "Wenn diese Regierung das nicht bringt, dann sage ich zu Theresa May: Die beste Art, das zu regeln, sind vorgezogene Neuwahlen", rief Corbyn am Vorabend des Labour-Parteitags in der nordenglischen Industriestadt seinen Parteifreunden zu.

Forderungen nach zweitem Referendum

Labour fordert unter anderem, dass Großbritannien weiterhin "exakt dieselben Vorteile" wie im EU-Binnenmarkt und der Zollunion genieße. May lehnt einen Verbleib in der Zollunion mit der EU strikt ab. Corbyn steht innerparteilich unter massivem Druck, einem zweiten Referendum über den Brexit-Deal zuzustimmen.

Neben den Ex-Premiers Tony Blair und Gordon Brown fordert auch der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan ein neuerliches Votum. Ex-Außenminister David Miliband kritisierte am Samstag die angebliche Passivität von Labour in der Brexit-Frage. "Es ist keine Strategie, einfach nur darauf zu warten, dass die Regierung einen Fehler macht", sagte der pro-europäische Politiker.

"Save Brexit Campaign" läuft an

Unterdessen erhöhten auch die Brexit-Wortführer den Druck auf die Premierministerin. In der nordwestenglischen Stadt Bolton gaben sie am Samstag den Startschuss für die parteiübergreifende "Save Brexit Campaign". Unter den Rednern waren der frühere Brexit-Minister David Davis von den Konservativen, die Labour-Abgeordnete Kate Hoey und der Rechtspopulist Nigel Farage.

"Wir haben nicht für eine Serie von Deals gestimmt", sagte Farage, Ex-Vorsitzender der euroskeptischen UKIP, vor rund tausend Unterstützern. "Das war ein Votum, um unser Land zurückzubekommen, um wieder selbst Gesetze machen zu können, um die Kontrolle über unsere Grenzen zurückzubekommen und wieder eine unabhängige Nation zu sein."

May will das Vereinigte Königreich auch nach dem Austritt Ende März 2019 in engen wirtschaftlichen Beziehungen mit der EU halten, doch lehnen die EU-27 ihren Plan als "Rosinenpicken" ab. Erst am Donnerstag holte sich die Premierministerin beim EU-Gipfel in Salzburg eine klare Abfuhr von Ratspräsident Donald Tusk, der klarstellte, dass Mays Plan "nicht funktioniert". Dies ermutigte die Brexiteers, die nichts von einer Teilnahme Londons am EU-Binnenmarkt samt seinen Regeln wissen wollen.

May droht Rebellion

May droht nun Medienberichten zufolge auch eine neuerliche Rebellion innerhalb des Kabinetts. Mehrere Minister wollten die Regierungschefin bei einer Sitzung am Montag auffordern, nach der EU-Abfuhr einen "Plan B" für die Brexit-Verhandlungen vorzulegen, berichtete die Zeitung "Telegraph" am Samstag. Andernfalls drohten ihr weitere Rücktritte. Am Montag sei der Knackpunkt, zitierte die Zeitung eine nicht näher genannte Quelle.

Als mögliche Kandidaten für einen Rücktritt kämen Arbeitsministerin Esther McVey und Entwicklungshilfeministerin Penny Mordaunt infrage, berichtete das Blatt am Samstag. Wegen Mays Plänen zum EU-Austritt haben bereits Außenminister Boris Johnson und Brexit-Minister David Davis ihre Ämter aufgegeben.

Außenminister Jeremy Hunt beschuldigte indes EU-Ratspräsident Tusk, mit einem Foto vom EU-Gipfel "das britische Volk beleidigt" zu haben. Hunt bezog sich auf ein von Tusk auf Instagram gepostetes Bild vom Salzburger EU-Gipfel, auf dem sich der Ratspräsident über das "Rosinenpicken" der Briten lustig gemacht hatte.

Auf dem Bild sind Tusk und Premierministerin Theresa May beim Kuchenbuffet zu sehen. "Ein Stück Kuchen gefällig? Tut mir Leid, keine Kirschen", schrieb Tusk in Anspielung auf die britische Redewendung für "Rosinenpicken", "cherry picking" ("Kirschenpicken"). Hunt sagte dem britischen Sender BBC, es sei nicht hilfreich bei der Bewältigung der "schwierigen Situation", die britische Premierministerin und ihr Volk zu beleidigen. "Werten Sie die britische Höflichkeit nicht als Schwäche", warnte er.

Allerdings hatten die Boulevardmedien auf der Insel jüngst nichts von der Höflichkeit erkennen lassen, die Hunt bemühte. So zeigte die Boulevardzeitung "The Sun" Tusk und den französischen Präsidenten Emmanuel Macron am Freitag in einer Fotomontage als zwei mit Maschinengewehren bewaffnete Gangster unter der Schlagzeile "Dreckige Ratten der EU".(APA, 22.9.2018)