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WAS FÜR PAMELA RENDI-WAGNER SPRICHT:
"Neu" steht bei ihr nicht nur für Neues, sondern auch Anderes

Es gibt Personalwechsel, da übernimmt dann zwar eine neue Person eine altbekannte Funktion, aber eigentlich haben alle das Gefühl: Okay, neuer Name, neue Figur, aber irgendwie bleibt eh alles beim Alten. Das steht auch für beruhigende Kontinuität. Mehr vom Alten, vom Vertrauten, vom Bewährten. Das geht dann, wenn eine geordnete Machtübergabe in einigermaßen ruhigen Zeiten vonstattengehen kann. In dieser Situation war die SPÖ offenkundig nicht. Sie war nach der von Parteichef Christian Kern etwas suboptimal (oder zu vertrauensselig) organisierten und kommunizierten – und dann prompt parteiintern desavouierten – Ankündigung seines Rückzugs von der Parteispitze Richtung Brüssel und Europapolitik nicht an dem Punkt, wo sie den Status quo personell hätte perpetuieren können. Nein, es war Zeit für etwas wirklich Neues. Und das verkörpert in der SPÖ derzeit eigentlich nur Pamela Rendi-Wagner. Die sozialdemokratische Gesundheitssprecherin wurde am Samstag einstimmig vom Parteipräsidium als nächste Parteivorsitzende – die erste Frau in diesem Amt – designiert.

Kurze rote Beziehungsgeschichte

Just jene Frau, die eine sehr kurze offizielle Beziehungsgeschichte mit der Partei hat. Denn die 47-jährige Wienerin hat erst vor eineinhalb Jahren – und da auch nur einen Tag vor ihrer Angelobung als Gesundheits- und Frauenministerin – ein rotes Parteibuch beantragt. Die damalige Generaldirektorin für die öffentliche Gesundheit wurde von Kern als Nachfolgerin für die verstorbene Ministerin Sabine Oberhauser geholt – und war wahlbedingt dieses politische Amt nach nur zehn Monaten auch schon wieder los.

Nun muss die Ärztin in die Rolle der Oppositionsführerin schlüpfen und – wenn die Legislaturperiode plangemäß abläuft – vier Jahre lang den politischen Angriff auf Türkis-Blau orchestrieren und selbst verkörpern, um bei der Wahl 2022 möglichst viele alte und vor allem auch neue Rotwählerinnen und -wähler zu rekrutieren.

Kann sie das? Ist sie dafür gerüstet? Politikwissenschafter Peter Filzmaier sagt im STANDARD-Gespräch: "Sie hat das Image des Neuen im Sinne von ,Jetzt wird Politik anders, besser.' Das gilt auch für: ,Es wird sozial besser.' Dieses ,neu' und ,anders' hätten zum Beispiel Doris Bures oder Hans Peter Doskozil viel weniger verkörpert." Die Zweite Nationalratspräsidentin will sich lieber als Kandidatin für die Hofburg in Stellung bringen, Doskozil hat den Landeshauptmannsessel im Burgenland vor Augen – auch von dort kann man ja schließlich in die Bundespartei hineinregieren.

Neu ist man immer nur kurz

Der Feind des Neuen ist allerdings die Zeit. Neu ist man immer nur kurz. Was Rendi-Wagner jedoch noch im Gepäck hat, das auf der politischen Habenseite zu verbuchen ist, ist "Fachkompetenz in für die SPÖ klassischen und zentralen Themenfeldern wie Gesundheits- und Sozialpolitik, auch Bildung", erklärt Filzmaier: "Da ist sie im Wettbewerbsvorteil zu Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache." Während die neue SPÖ-Chefin, die zum Thema "Prävention durch Impfungen" habilitiert hat, über nationale (Med-Uni Wien, Kaiser-Franz-Josef-Spital) und internationale (Tel Aviv University) Erfahrung als Ärztin und Wissenschafterin verfügt, sind der Kanzler und ÖVP-Chef sowie der Vizekanzler und FPÖ-Obmann Vertreter klassischer Parteikarrieren ohne große berufliche Expertise abseits dessen.

Ein weiteres Atout, das die baldige SPÖ-Vorsitzende im Spiel gegen die in einem recht rigiden Message-Control-Modus agierende ÖVP-FPÖ-Regierung ausspielen könnte, sei "ein anderer Stil jenseits von ,Spins & Co'", sagt der Politikwissenschafter: "Denn das mögen nur die Spindoktoren, aber den Bürgerinnen und Bürgern ist das alles schon zu viel." Rendi-Wagner, die sich – in einer quasi unter Dauerbeobachtung stehenden Politszenerie – bei öffentlichen Auftritten (zumindest derzeit noch) durch ungecoachte Natürlichkeit und selbstbewusste Angstfreiheit vor Kameras bewegt, wird von politischen Freunden, früheren Mitarbeitern, aber auch Beobachtern mit Distanz zur Partei ein hohes Maß an sozialer Intelligenz und "Gespür" für Begegnungen auch auf vermeintlich "fremdem" Terrain zugesprochen.

Der Faktor Frau

Und die Tatsache, dass sie eine Frau ist (alle drei Oppositionsparteien werden übrigens jetzt von Frauen geführt. neben Rendi-Wagner an der SPÖ-Spitze sind das Beate Meinl-Reisinger bei den Neos und Maria Stern für die Liste Pilz)? "Ist ein Vorteil, wenn es darum geht, die Lebenswelt von Frauen, vor allem berufstätigen mit Kindern, und deren Alltagsleben glaubhaft zu verstehen. Das ist sicher keine Stärke von Kurz oder Strache", sagt Peter Filzmaier. Rendi-Wagners moderner Habitus könnte auch in die parlamentarisch verwaiste Grün-Zone, nicht nur im urbanen "Bobo"-Bereich, hineinreichen, sondern auch Neos-Klientel ansprechen.

Mit Pamela Rendi-Wagner schließt sich übrigens genau zum 130. Geburtstag der SPÖ ein Kreis zum Begründer der damals noch Sozialdemokratische Arbeiterpartei genannten Partei: Victor Adler hatte beim Hainfelder Parteitag vom 30. Dezember 1888 bis 1. Jänner 1889 ebenfalls verschiedenste sozialdemokratische Gruppen zu vereinen – und auch er war Arzt.

Seit eineinhalb Jahren ist sie SPÖ-Parteimitglied. Nun soll Pamela Rendi-Wagner die traditionsreiche Partei zuerst in der Opposition profilieren und dann hoffentlich bald wieder in eine Regierung führen.
Foto: Christian Fischer


WAS GEGEN PAMELA RENDI-WAGNER SPRICHT:
Sie muss eine Partei führen, die sie selbst nicht kennt

Dass sie gut reden kann, dass sie gebildet ist, dass sie Managementqualitäten hat und dazu auch noch gut aussieht – all das wird Joy Pamela Rendi-Wagner allseits zugutegehalten.

Auch vom Politikforscher Peter Hajek, der im STANDARD-Gespräch dazu rät, die künftige SPÖ-Vorsitzende aus zweierlei Perspektive zu betrachten. Das eine wäre die Außenwirkung, also all die guten Zuschreibungen, die hier angeführt werden. Die andere Perspektive wäre aber die Innenwirkung: "Ich werfe der Partei vor, dass sie nur die Außenperspektive betrachtet. Die Innenwirkung ist aber viel wichtiger."

Wie wichtig diese ist, hat der Wiener Bürgermeister und Landesparteichef Michael Ludwig in den vergangenen Tagen deutlich gemacht. Am Samstag sagte er: "Jeder, der sich einem politischen Mandat und damit einer politischen Herausforderung stellt, muss sich in der Realität bewähren. Aber wir gehen davon aus, dass sie das Handwerk beherrscht."

Sie sollte sich vor Ludwig fürchten

Viel distanzierter kann man eine neue Chefin wohl nicht begrüßen. Schon vorige Aussagen von Michael Ludwig, dass er Rendi-Wagner unterstützen würde, hat der Politologe Peter Filzmaier in der Zeit im Bild trocken mit "Da würde ich mich eher fürchten" kommentiert.

Die deutliche Distanz mag damit zusammenhängen, dass man in der Partei, gerade auch in der mächtigen Wiener SPÖ, die Politikerin aus Simmering kaum kennt: Sie ist ja noch keine zwei Jahre Parteimitglied. Und sie kennt umgekehrt die Partei ja auch nicht. Hajek sieht hier einen entscheidenden Unterschied zu Sebastian Kurz, der die ÖVP und deren Organisation bis in die letzte Verästelung gekannt hat, als er angetreten ist, um sie zu übernehmen und innerhalb kurzer Zeit an die Spitze zu führen. Hajek: "Sie wird den einen oder anderen Übersetzer brauchen, der ihr sagt: Was der sagt, ist so gemeint, was jener sagt, ist so gemeint."

Die Art und Weise, wie die Abdankung von Christian Kern als Parteichef von statten ging, hat wohl alle überrumpelt, Christian Kern inklusive. Von Chaostagen in der SPÖ war die Rede, Nachfolgekandidaten haben reihenweise abgelehnt.
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Die SPÖ ist nämlich eine Partei, in der vieles quasi natürlich gewachsen ist; eine Partei, in der viele Selbstverständlichkeiten gelten, die aber nur für altgediente Genossen selbstverständlich sind. Wohlmeinend könnte man festhalten, dass Rendi-Wagner aus ihrer Zeit als Sektionschefin im Gesundheitsministerium Managementerfahrung mitbringt. Diese zählt aber in einer Partei wenig, weil dort das Wort der Chefin nicht unbedingt Befehl ist.

Sie sollte wissen, wie das Werkl rennt

Wer von oben, sozusagen als Vermächtnis des scheidenden Parteichefs, eingesetzt wird, müsste zumindest wissen, wie das Werkl rennt – und auch das ist keine Erfolgsgarantie. Beispiel Fred Sinowatz: Er wurde 1983 vom mächtigen Parteichef Bruno Kreisky als Nachfolger in Partei und Kanzleramt inthronisiert – zeigte sich aber in beiden Funktionen letztlich überfordert. Oder Kreisky selbst: In einer Kampfabstimmung gegen Adolf Czettl zum Vorsitzenden gewählt, musste er sich sein Team zumindest teilweise vom anderen Parteiflügel (dominiert vom ÖGB-Chef Anton Benya) andienen lassen.

Rendi-Wagner wird ebenfalls ein Team brauchen, um zumindest die Parteizentrale in der Löwelstraße in den Griff zu bekommen – aber ein Team, dem sie blind vertrauen kann, wird schwer zu finden sein, meint Hajek. Weil sie selber die Kontakte nicht hat, wird sie Mitstreiter brauchen, die in die Landesparteien und Organisationselemente vernetzt sind, ohne ihrerseits von den Parteiflügeln gelenkt zu werden.

Und die Flügel der SPÖ sind heute anders aufgestellt als zu Kreiskys Zeiten, als die SPÖ sich in ihrem Selbstverständnis zumindest darin einig war, dass sie die Partei der arbeitenden Bevölkerung war. Heute verlaufen die Fronten aber anders: nämlich zwischen den Leuten, die man abfällig als "kleine Leute" bezeichnet und die ihre Ängste vor Überfremdung und Globalisierung, vor Jobverlust und Altersarmut haben, auf der einen Seite – und auf der anderen den linksliberalen städtischen Intellektuellen, die schon in zweiter Generation der Arbeiterklasse entwachsen sind und die solche Ängstlichkeit als kleinlich empfinden.

Sie sollte wissen, dass der liberale Flügel der schwächere ist

Es ist offensichtlich, dass Rendi-Wagner diesem liberalen Flügel näher steht. Es ist ebenso offensichtlich, dass dieser Flügel der zahlenmäßig schwächere ist.

Dazu kommt, dass die SPÖ seit sechs Jahren an einem neuen Parteiprogramm gearbeitet hat – es soll auf jenem Parteitag im November beschlossen werden, auf dem auch Rendi-Wagner gewählt werden soll. Allerdings: Sie ist so neu in der Partei, dass sie in die Grundsatzdiskussionen nichts Eigenes einbringen konnte. Da wird es für die Vorsitzende schwer werden, eine eigenständige Interpretation einer Sozialdemokratie des 21. Jahrhunderts vorzulegen.

Stattdessen wird sie daran gemessen werden, ob sich bei Umfragen vermeintliche und bei der EU-Wahl messbare Erfolge für die SPÖ einstimmen, sagt Hajek.

Und Hajek gibt ihr immerhin einen Trost mit auf den Weg: "Es kann eigentlich nur besser werden." (Lisa Nimmervoll, Conrad Seidl, 23.9.2018)