Viele der traditionsreichen sozialdemokratischen Parteien Westeuropas befinden sich an einem historischen Tiefpunkt in der Wählergunst.

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Griechenland, Niederlande, Irland, Frankreich, Deutschland, Italien – vielerorts in Europa haben sozialdemokratische Parteien in den vergangenen Jahren historische Niederlagen erlebt. In den Parlamenten von Athen, Den Haag und Paris muss man Sozialdemokraten heute schon fast mit der Lupe suchen. Wenig Wunder also, dass die Erzählung vom Niedergang – oder gar vom Tod – der europäischen Sozialdemokratie in vielen Medien die Runde macht (hier, hier und hier etwa).

Und tatsächlich befinden sich viele der traditionsreichen sozialdemokratischen Parteien Westeuropas an einem historischen Tiefpunkt in der Wählergunst. Bloß bedeutet das noch lange nicht, dass die europäische Linke insgesamt in der Krise steckt. Ganz im Gegenteil: Ein guter Teil der Stimmenverluste sozialdemokratischer Parteien geht auf das Konto anderer linker Parteien.

Die Grafik unten zeigt, wie stark das sozialdemokratische und das sonstige linke Lager (kommunistische, sozialistische und grüne Parteien) in Westeuropas Parlamenten seit 1960 vertreten ist. Dargestellt wird pro Jahr der Median aus 17 Ländern (EU-15 plus Schweiz und Norwegen).

Der sinkende Wählerzuspruch zu sozialdemokratischen Parteien ist klar erkennbar. Im Jahr 2018 hält die durchschnittliche sozialdemokratische Partei in Westeuropa nur mehr 22 Prozent der Parlamentsmandate in ihrem Land – vor zehn Jahren war es noch ein gutes Drittel.

Was aber ebenso gut sichtbar wird: Andere linke Parteien befinden sich seit Jahrzehnten in einem langsamen, aber steten Aufwärtstrend. Während solche Parteien Anfang der 1980er in der Regel gerade drei oder vier Prozent aller Parlamentssitze auf sich vereinigten, stellen sie heute im Mittel 13 Prozent der Mandate.

Als Folge dieser beiden gegenläufigen Trends ist das linke Lager in Summe (die strichlierte Linie) heute in etwa so stark wie 1980 (jedoch ein paar Punkte unter dem Schnitt der 1990er und 2000er). Anders ausgedrückt bilden die europäischen Sozialdemokraten im linken Spektrum immer noch den größten Block, aber rund ein Drittel der von linken Parteien gestellten Abgeordneten kommt im Jahr 2018 aus nichtsozialdemokratischen Parteien.

Das linke Lager fragmentiert und diversifiziert sich also – eines der besten Beispiele dafür ist derzeit Deutschland, wo Grüne und die Linke in Umfragen zusammen ein Viertel der Stimmen bekommen – deutlich mehr als die SPD. Österreich folgte lange Zeit einem ähnlichen Trend (wenngleich auf nationaler Ebene hierzulande keine relevante Linkspartei existiert), der bei der Wahl 2017 aber jäh gebrochen wurde.

Diese Fragmentierung ist eine logische Konsequenz von abnehmender Identifikation mit den traditionellen Volksparteien sowohl links als auch rechts der Mitte. Neuere, kleinere Parteien können somit aus einem wachsenden Reservoir an schwach gebundenen Wählern schöpfen. Das bedeutet nicht, dass die sozialdemokratischen Parteien Europas nie mehr zu alter Stärke zurückfinden können – es heißt nur, dass die großen Wahlerfolge von früher heute schwieriger zu wiederholen sind. (Laurenz Ennser-Jedenastik, 24.9.2018)