Vom antiken Olympieionaus führt die von Beerdigungsinstituten und Gärtnereien gesäumte Straße der (ewigen) Ruhe zum Ersten Friedhof Athens. Dort, auf dem 1837 eröffneten Friedhof, liegen sie, die Athener Familien, Griechen und Ausländer, Griechisch-Orthodoxe, Juden, Protestanten sowie Katholiken, Frauen, Männer und Kinder. Unter ihnen auch die großen Wohltäter der Nation, deren Gräber in erstaunlich vielfältigen Variationen die Selbstdarstellung der Toten widerspiegeln: Manche bevorzugten als Grabschmuck eine Büste oder Statue, andere wählten riesige Grabdenkmäler mit Einflüssen aus der liebsten Kunstepoche, wieder andere präferierten einfache, fast zu übersehende Grabplatten ohne jeglichen Verweis auf gewesenen Reichtum oder Rolle innerhalb der Gesellschaft.

Das Mausoleum des "weithin Berühmten" auf dem Ersten Friedhof Athens

Deutlich abgehoben von seiner Umgebung, auf einer Anhöhe des Friedhofs platziert, steht das Mausoleum Heinrich Schliemanns (1822-1890). Der Leichnam des deutschen Archäologen, Geschäftsmanns und Entdecker Trojas wurde nach seinem Tod am 26. Dezember von Neapel nach Athen überführt und zwei Wochen später auf dem Ersten Friedhof Athens im Rahmen eines Staatsbegräbnisses beigesetzt. Lange vorher hatte er den Platz für seine letzte Ruhestätte "auf dem höchsten Gelände des großen griechischen Friedhofs in Athen" ausgewählt. Schliemann wollte neben seiner Frau Sophia und seinen Kindern Andromache und Agamemnon in einer Grabkammer mit Motiven aus Orchomenos und Pompeji bestattet werden. Zum Architekten wurde der schwäbische Freund und Bauherr des Schliemann’schen Palastes in Athen Iliou Melathron, Ernst Ziller, auserwählt. Vertrag und Pläne für das Mausoleum legte Schliemann seinem Testament vom 30. Januar 1889 bei.

Das mit 50.000 Drachmen veranschlagte Mausoleum ist alles andere als bescheiden: über acht Meter hoch, sieben mal fünf Meter breit, mit einem den Sockel umgebenen 60 Zentimeter hohen Reliefband, gekrönt von einem dorischen Amphiprostylos nach dem Vorbild des Tempels der Athena Nike. Die Büste Schliemanns blickt von dort über die vor ihm liegenden Stadt, oder wie es in seiner "Selbstbiographie bis zu seinem Tode vervollständigt" (1892) heißt: "Ihn grüßen im Tode die Akropolis mit dem Parthenon, die Säulen des Zeus Olympios, der blaue saronische Golf und jenseits des Meeres die duftigen Bergketten der Argolis, hinter welchen Mykenä und Tiryns liegen." Der Meister der Selbstinszenierung wollte nicht nur weit blicken, er wollte auch als der "weithin Berühmte" "Heros Schliemann" gelten, wie die Inschriften auf dem Mausoleum bestätigen.

Schliemann-Mausoleum am Ersten Athener Friedhof, Athen 2018.
Foto: Nathalie Soursos

Heinrich Schliemann ein Wohltäter?

Schliemanns Selbstbild war das eines erfolgreichen Archäologen und gewiss nicht das eines Philanthropen. So war er sich sowohl der unverschämt hohen Kosten für das Grabmal als auch der Tatsache bewusst, dass sich sein Grabmal von den anderen Gräbern deutlich abhob. 1885 schrieb er an seinen Freund Rudolf Virchow: "Als ich gestern auf dem Kirchhofe sah, wie viele gelehrte Männer unter schlichten Grabmälern ruhen, schämte ich mich beim Gedanken daran, dass ich 70.000 francs im Testament für mein Familiengrab ausgesetzt habe. Was meinen Sie dazu, wenn wir die Summe auf 10.000 francs herabsetzen und für den Rest in Deutschland ein Stipendium für homerische Forschungen mit Spitzhaue und dem Spaten gründen?"

Was auch immer ihm Vichow antwortete, in der Überarbeitung seines Testaments erwähnte Schliemann ein solches Stipendium nicht. Stattdessen spendete der wohlhabende Geschäftsmann verhältnismäßig kleine Summen von je 1.000 Drachmen für wohltätige Organisationen in Athen: das Krankenhaus Evangelismos, das Athener Armenhaus, das Waisenhaus Georg und Aikaterini Chatzikonsta, den Verein bedürftiger Frauen und die Schule der bedürftigen Kinder der literarischen Gesellschaft Parnassos, deren Ehrenmitglied Schliemann war. Die Funde aus Troja und mit ihnen den Schatz des Priamos vermachte Schliemann dem Ethnologischen Museum in Berlin, welches seine Säle nach ihm benennen sollte. Zum Dank für diese Sammlung wurde ihm zu Lebzeiten die Ehrenbürgerschaft der Stadt Berlin verliehen. Der deutsche Archäologe galt auch als Wohltäter der Archäologischen Gesellschaft Athens nachdem er die notwendige Geldsumme für den Abriss des Frankenturms bei den Propyläen zur Verfügung gestellt hatte. Außerdem schenkte Schliemann Teile seiner Sammlung an Museen und befreundete Archäologen auf der ganzen Welt. Das Schliemann-Mausoleum und die Verteilung seines Vermächtnisses verdeutlicht jedoch, dass Schliemanns Interesse weniger den sozialen Nöten der zeitgenössischen Griechen galt als seiner archäologischen Sammlung und der eigenen posthumen Divinisierung.

Sophia Schliemann stand immer im Schatten ihres Mannes.
Foto: Public Domain

Mehr als eine Muse – Sophia Schliemann nach Heinrich
Während Schliemanns Büste an der vorderen Schmalseite des Mausoleums über Athen bis zur Akropolis sehen kann, sollte die Büste Sophia Schliemanns (1852-1932) auf der hinteren Schmalseite mit Blick über die anderen Gräber ihrer griechischen Landsmänner platziert werden. Außerdem fand die Griechin am Relief, neben Szenen aus der Ilias und Odyssee, aus Troja und Tiryns, in der visuellen Darstellung der Ausgrabungsgeschichte Schliemanns Platz. Sophia und Heinrich sind einander zugewandt dargestellt. Er liest aus einem Buch vor und zeigt mit dem ausgestreckten rechten Zeigefinger nach oben, während sie, die treue Gefährtin und Muse, seinen Ausführungen lauscht.

Nach Heinrichs Tod verblieb Sophia ein Teil des Vermögens von rund 15 Millionen Francs, welches sie zwar ohne die zu Lebzeiten ständigen brieflichen Anweisungen ihres Gatten, jedoch "wegen der Unerfahrenheit [...] in Geldgeschäften" nicht gänzlich selbstständig verwalten durfte. Sie führte zunächst das Werk des Archäologen fort, finanzierte mit dem hinterlassenen Vermögen die Troja-Ausgrabungen von Wilhelm Dörpfeld und publizierte die Autobiographie sowie weitere Werke ihres Mannes. Nun unabhängig von ihrem Mann, begann die erst 38-jährige Witwe sich überdies als wohltätige Stifterin für Krankenhäuser und andere soziale Institutionen zu engagieren. Zusammen mit anderen Damen der Athener Gesellschaft gründete sie 1897 den Verein Sotiria (Erlösung), welcher 1902 den Bau des ersten Sanatorium für Lungenkranke in Athen finanzierte. Sophia Schliemann war bis zu ihrem Tod im Vorstand des Vereins. Das Logo des Sanatoriums trägt heute ihr Porträt, ein Gebäude sowie das Museum zur Geschichte des Sanatoriums wurde nach ihr benannt. Neben ihrem philanthropischen Wirken schenkte Sophia der Smithsonian Institution in Washington und dem Nationalmuseum Athens archäologische Funde aus Hissarlik. Die Numismatische Sammlung Schliemanns vermachte die Witwe dem Athener Numismatischen Museum. Letzteres ist heute im Iliou Melathron untergebracht, dem Schliemann’sche Palast, welchen Sophia 1926 an den Griechischen Staat verkauft hatte.

Sophia Schliemann starb 1932. Ihre Rolle als Wohltäterin ist außerhalb Griechenlands unerforscht. Es ist die ikonische Fotografie, welche die schöne Griechin behängt mit dem Schmuck aus Troja zeigt, die bis heute im Gedächtnis bleibt. Sophia selbst wollte ihre Bekanntheit für ihr Vaterland Griechenland nutzen. So schrieb sie 1881: "Möge zumindest mein Name bekannt werden, wenn das zum Ruhm meines geliebten Vaterlands beitragen kann." (Nathalie Soursos, 4.10.2018) 

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