Der Unfall am 24. Februar 2013 änderte alles im Leben von Jered Chinnock. Der heute 29-Jährige verunglückte mit seinem Motorschlitten und trug dabei schwerste Verletzungen davon. Vor allem war seine Wirbelsäule auf der Höhe der Brust gebrochen und das Rückenmark durchtrennt.

Clip über Jered Chinnock vom Beginn seiner Therapie.
Mayo Clinic

Die Folge: Chinnock konnte ab der unteren Hälfte des Rumpfs nichts mehr spüren, weil die Signale zwischen Gehirn und den unteren Regionen des Körpers nicht weitergeleitet wurden.

Zunächst erhielt er im Lauf von 22 Wochen 61 Einheiten physiotherapeutisches Laufbandtraining, sprich: Seine gefühllosen Beine wurden von den Therapeuten wie beim Gehen bewegt. Dabei wurde festgestellt, dass Chinnocks Rückenmark nicht völlig durchtrennt war.

Jered Chinnock bei einer physiotherapeutischen Einheit.
Foto: Mayo Clinic

Implantierter Neurostimulator

Im Jahr 2016 wurde dem Mann in der renommierten Mayo Clinic in Rochester (US-Bundesstaat Minnesota) ein Neurostimulator mit 16 Kontaktelektroden unterhalb jener Stelle implantiert, an der sein Rückenmark durchtrennt ist. Diese Elektrode ist mit einem Impulsgeber verbunden, der im Bauch des Patienten platziert wurde und drahtlos mittels Fernbedienung kommuniziert.

Der eingebaute Neurostimulator.
Foto: Mayo Clinic

Mit dieser elektrischen Rückenmarkstimulation versuchen die Mediziner um den Neurochirurgen Kendall Lee die verletzte Stelle zu überbrücken. Nach der Operation begab sich Chinnock 43 Wochen lang zur Rehabilitation und zur Anpassung des Rückenmarkstimulators in die Mayo Clinic, wo sich bald erste Erfolge zeigten. Im Vorjahr veröffentlichten die beteiligten Forscher und Physiotherapeuten eine kleine Studie, laut der ihr Patient seine Zehen wieder spüren und leicht bewegen konnte.

Kleine und große Fortschritte

Nach insgesamt 113 Therapie- und Trainingseinheiten in der Klinik und 72 Einheiten zu Hause berichtet das beteiligte Team um Lee und Kristin Zhao im Fachblatt "Nature Medicine" von den Fortschritten Chinnocks, die einerseits recht spektakulär klingen, andererseits aber doch zeigen, wie weit der Weg – jedenfalls mit dieser Technik – noch ist, bis gelähmte Personen tatsächlich wieder gehen können.

Nach den Trainingseinheiten konnte Chinnock mit der epiduralen Elektrostimulation bis zu 331 Schritte und bis zu 102 Meter weit gehen – allerdings nur mithilfe eines Rollators sowie mit Unterstützung durch Therapeuten. Anfangs mussten drei Personen assistieren: eine, um bei einem Schritt das Standbein stabil zu halten; eine zweite Person, um den Schwung des Schrittbeins zu unterstützen; und eine dritte Person, um die Hüfte zu halten und so bei der Gewichtsverlagerung und der Balance zu helfen:

NPG Press

In der 43. Trainingswoche waren nur noch ein Rollator und ein Hüftassistent nötig:

NPG Press

Weitere vier Fälle mit Erfolgen

Zeitgleich mit dieser Studie veröffentlichten Forscher um Claudia Angeli und Susan Harkema (University of Louisville) im "New England Journal of Medicine" eine Studie über gleich vier gelähmte Patienten, denen es mittels Neurostimulation gelang, selbstständig zu stehen und den Rumpf stabil zu halten. Nur zwei von ihnen schafften es freilich, mithilfe der epiduralen Elektrostimulation einige Schritte zu gehen; eine davon erlitt beim Training zudem eine Hüftfraktur.

Die Videos der Gehversuche Chinnocks führen allerdings auch vor Augen, wie klein die Fortschritte sind, die mit Neurostimulation und viel Training gemacht werden. Das geben auch einige nicht an der Studie beteiligte Forscher wie die Schweizer Neurochirurgin Jocelyne Bloch zu Protokoll – obwohl für sie offensichtlich ist, dass die Methode prinzipiell erfolgversprechend ist und auch das Nachwachsen von Nervenfasern stimulieren könnte. (Klaus Taschwer, 24.9.2018)