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Derzeit wird im Rahmen vieler Proteste in Washington Deborah Ramirez und Christine Blasey Ford öffentlich und demonstrativ Glauben geschenkt.

Foto: AP/Carolyn Kaster

Die einfachste Erklärung dafür, warum so viele Frauen erst spät über sexuelle Übergriffe reden, liefern die Fragenden meistens gleich mit. "Warum wurde damals nichts gesagt?" In dieser Frage steckt schon verdammt viel Misstrauen. Gegenüber der Anklägerin und ihren Motiven, gegenüber dem Erlebten, das wohl nicht so schlimm gewesen sein könne, wenn keinem davon erzählt, keine Anklage erhoben wurde.

Nach Hashtags wie #Ichhabnichtangezeigt und zahllosen Schilderungen sexueller Übergriffe bekanntlich auch unter #MeToo geht es mit #WhyDidntIReport weiter. Wieder erklären meistens Frauen, warum sie nichts gesagt haben. "Ich habe zwanzig Jahre nichts erzählt, weil die einzige Person, der ich es gesagt habe, meinte, es sei meine Schuld." "Weil ich zu jung war, um zu begreifen, was gerade passiert." "Weil es mein Freund war, und ich dachte, dass es deshalb kein Übergriff sein könnte – obwohl ich Nein sagte." "Weil ich nicht imstande war, mich all den Fragen zu stellen, die mich erwarteten – und irgendwann schien es mir zu spät." "Weil meine Mutter mich genauso beschuldigen würde, wie ich mich selbst beschuldige." "Weil mein Wort gegen seines gestanden wäre."

Die Reaktionen auf die Aussagen von Christine Blasey Ford untermauern diese Sorgen einmal mehr. Die Vorwürfe gegen Brett Kavanaugh kommen zu einem hochbrisanten Zeitpunkt: Ford und inzwischen auch Deborah Ramirez werfen Trumps Wunschkandidaten für den Supreme Court sexuelle Übergriffe vor, womit die Bestellung Kavanaughs ernsthaft auf dem Spiel steht – und somit auch eine auf Jahre gesicherte konservative Mehrheit im Supreme Court. Für die Demokraten sind diese Vorwürfe eine Möglichkeit, Kavanaughs Bestätigung bis zu den Zwischenwahlen am 6. November zu verzögern. Mit einer neuen Zusammensetzung des US-Senats ließe sich seine Bestellung noch verhindern – egal wie eine genauere Untersuchung der Vorwürfe ausgeht.

In diesem Zusammenhang ist also nichts leichter, als die Anschuldigungen von Ford und Ramirez mit einer möglichen politischen Intrige in Verbindung zu bringen. Doch das ist kein Grund, öffentlich derart verantwortungslos mit massiven Vorwürfen zu sexueller Gewalt umzugehen, wie es Trump tut. Seine Aussagen über Ford bestätigen genau das, was viele unter #WhyDidntIReport berichten: Wäre der Angriff auf Dr. Ford wirklich so schlimm gewesen, wie sie sagt, schreibt Trump auf Twitter, hätten schon damals entweder sie oder ihre Eltern Anklage bei den örtlichen Strafverfolgungsbehörden eingereicht. Außerdem handle es sich um eine "koordinierte Verleumdungskampagne" der Demokraten.

Vielleicht naiv

Dieser reflexhafte Schulterschluss, ohne auch nur im Geringsten wissen zu können, was passiert ist, ist so billig wie der alte und oft in diversen US-College-Filmen vorkommende Spruch "Bruder vor Luder" ("bros before hos").

Aus politstrategischer Sicht mag es naiv klingen, von Politikern zu erwarten, dass sie eine sorgfältige Auseinandersetzung oder Untersuchung solcher Vorwürfe fordern und Frauen wie Ford und Ramirez nicht sofort der Lüge bezichtigen. Denn sämtliche Opfer von sexueller Gewalt lesen und hören mit – und bekommen noch immer viel zu viele gute Gründe dafür geliefert, ihren Mund zu halten. (Beate Hausbichler, 25.9.2019)