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Fehler sind oft nur ärgerlich und oftmals kostspielig – Irrtümer hingegen Teil jedes Experiments, also auch notwendig für die Weiterentwicklung.

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Heute ist eine gelebte Lernkultur entscheidend, wenn Unternehmen ihre Zukunftsfähigkeit nicht aufs Spiel setzen wollen. Unternehmen, die im letzten Jahrhundert geboren wurden, beschäftigen sich gerne mit ihrer Fehlerkultur. Unternehmen, die in diesem Jahrhundert geboren sind, kümmern sich lieber um ihre Lernkultur. Grund dafür sind tief liegende Kulturmuster.

Typischerweise sind etablierte Unternehmen darauf konditioniert, Risiken zu minimieren und Fehler zu vermeiden. Das ist wenig überraschend: Ein solches Mindset hat vielerorts zu großen Erfolgen geführt. Leistungen können effizient, skalierbar und in höchster Qualität erbracht werden. So steckt in der kulturellen DNA zahlreicher Unternehmen auch heute noch eine gehörige Portion Taylorismus. Wer sein Unternehmen als gut geölte Maschine betrachtet, bei der ein Zahnrad perfekt ins nächste greift, kann keine Fehler gebrauchen. Sie führen zu kostspieligen Abweichungen vom geplanten Ergebnis.

Jüngere Unternehmen zeigen oft eine andere Haltung: Lernkultur statt Fehlerkultur. Sie sind nicht damit erfolgreich geworden, Prozesse zu optimieren und Effizienzen aufzubauen. Sie haben sich nie als gut geölte Maschine verstanden. Sie sind damit aufgewachsen, Dinge auszuprobieren und schneller als andere zu sein.

Was ist passiert?

"We aim to make mistakes faster than anyone else", bekundet Spotify-Gründer Daniel Ek. Schnelles Lernen ist tief in der Unternehmenskultur des Musik-Streaming-Dienstes verankert: In "Retrospectives" reflektieren agile Teams alle paar Wochen, was derzeit gut läuft und was verbessert werden soll. Wenn etwas schiefgegangen ist, wird ein sogenanntes Post-Mortem-Meeting abgehalten. Dabei geht es nicht um die Frage: "Wer hat das verbockt?" Die Teilnehmer beschäftigt vielmehr: "Was ist passiert? Und was müssen wir ab sofort anders machen?" Generell gilt bei Spotify ein "Störfall" nicht als abgeschlossen, sobald das Problem behoben ist, sondern erst, wenn die Learnings klar herausgearbeitet wurden. Das schwedische Unternehmen arbeitet zudem konsequent mit einem "Limited Blast Radius" – einem Raum für Experimente am lebenden Objekt. Neue Features werden graduell ausgerollt und erst nach einem erfolgreichen Live-Test an einer Gruppe von Kunden auf alle übertragen. So leidet nur ein kleiner Teil des Gesamtsystems, wenn etwas nicht wie gewünscht funktioniert. Das ermöglicht eine Innovationskultur, die den Fokus auf das Ausprobieren und Lernen legt.

Wer www.relentless.com im Internetbrowser eingibt, landet auf der Seite von Amazon.com. "Unerbittlich" – so wollte Jeff Bezos ursprünglich sein Unternehmen nennen. Es gilt als sein Motto, unerbittlich und auch gegen Widerstände für den Erfolg zu kämpfen. Zwar gab er den Firmennamen zugunsten des wasserreichsten Flusses der Erde auf, sein Siegeswille ist aber ungebrochen. Dennoch sieht er Misserfolge als natürlichen Teil der Unternehmensentwicklung an. Bereits im ersten Aktionärsbericht von Amazon ließ er die Investoren wissen: "Ich glaube, wir sind der beste Ort für Fehlschläge (wir haben viel Erfahrung damit). Fehlschläge und Innovationen sind untrennbare Zwillinge. Wer innoviert, experimentiert. Und wenn man im Vorhinein weiß, dass etwas funktioniert, ist es kein Experiment."

Umdenken spürbar

Bis heute zeichnet sich Amazon dadurch aus, immer wieder Experimente einzugehen und neue Geschäfte zu entwickeln. Das zahlt sich aus – auch für die Investoren. Wer damals, im Mai 1997, das Risiko eingegangen wäre, zehn Amazon-Aktien für 180 Dollar zu erwerben, säße heute auf einem 250.000-Dollar-Aktienpaket. Amazon liebt solche Big Bets, wie Bezos seine kühnen Entscheidungen nennt. Im Aktionärsbrief betont er daher weiter: "Wenn eine zehnprozentige Wahrscheinlichkeit besteht, dass sich etwas hundertfach auszahlt, sollte man diese Wette jedes Mal eingehen."

Traditionelle Unternehmen würden Bezos' Risikoabwägung in den meisten Fällen nicht teilen. Kaum jemand ist bereit, etwas zu tun, das womöglich schiefgehen könnte – oder gar ziemlich sicher schiefgeht. Mittlerweile ist aber ein Umdenken spürbar, und immer mehr Organisationen hinterfragen ihre Fehlerkultur. Schließlich ist schnelles Lernen die einzige Möglichkeit, in einer Vuca-Welt erfolgreich zu sein – vor allem, wenn man neue Geschäfte entwickeln will. Um unter volatilen, unsicheren, komplexen und widersprüchlichen Bedingungen weiterzukommen, kann es nicht das primäre Ziel sein, Fehler zu vermeiden. Viel wichtiger ist es, ständig zu lernen, um möglichst schnell (re)agieren zu können.

Was dabei helfen kann: Führungskräfte, die bewusst zwischen Fehler und Irrtum unterscheiden. Bei Fehlern könnte man durch die vorhandenen Erfahrungswerte eigentlich wissen, dass etwas so, wie es tatsächlich abläuft, nicht zum gewünschten Ergebnis führt. Eine Reisekostenabrechnung mit den falschen Zahlen oder Schlampereien an einer Maschine, die die komplette Produktion lahmlegen – das sind ungewollte Störungen, deren Mehrwert gegen null geht.

10.000 Wege, die nicht funktionieren

Irrtümer folgen dagegen auf Entscheidungen, Ideen oder Vorhaben, die auf gewissen Annahmen und Thesen basieren. Erst im Nachhinein weiß man, ob man damit recht hatte oder nicht. Man kann leidenschaftlich daran arbeiten und wie Jeff Bezos unerbittlich dafür kämpfen – und trotzdem geht es manchmal schief (wer erinnert sich noch an das Amazon Fire Phone?). Schon Thomas Edison stellte auf dem Weg zur Glühbirne fest, dass er 10.000 Wege gefunden habe, die nicht funktionieren. Aber einer tat es dann doch.

Fehler sind einfach nur ärgerlich und in vielen Fällen kostspielig. Irrtümer hingegen sind Teil jedes Experiments, also auch jeder Innovation. Ohne Irrtümer gibt es keine Weiterentwicklung. (Simon Sagmeister, 28.9.2918)