Der Himmel über Sezuan hängt voller Götter und Regenwolken. Stefano Bernardin, Lili Epply und Tim Breyvogel (v. li.) versuchen darunter ihr Bestes, um über die Runden zu kommen.


Foto: Alexi Pelekanos

St. Pölten – Man würde wohl gut sein wollen, wenn man es sich leisten könnte. Das kann hier aber keiner so recht. Denn die Zeiten sind hart in Sezuan. Nicht nur für den Wasserverkäufer Wang (Tim Breyvogel). Im flehenden Singsang preist er sein nasses Gut an, doch unablässig plätschert es von der Decke auf die Bühne des niederösterreichischen Landestheaters – und keiner kauft ihm im Regen den Durstlöscher aus den Flaschen mit dem doppelten Boden ab. Dass Wang etwas verschlagen ist, sieht man ihm gerne nach – denn er ist zugleich hoch sympathisch. Und er hat einen bemerkenswerten Draht zu den Göttern.

Die kommen in Bert Brechts Der gute Mensch von Sezuan vom Himmel herab, um einen selbstlosen Menschen zu suchen. Mit Wangs Hilfe finden sie ihn ausgerechnet in der von allen schief beäugten Prostituierten Shen Te (Lily Epply). Mit goldenem Morgenmantel und gespreizten Beinen bietet sie den Göttern (Tobias Artner, Bettina Kerl, Tobias Voigt) im Regen einen Unterschlupf und erhält als Dank eine kleine Summe, die sie in einen Tabakladen investiert.

Bald schon tummeln sich unter dessen Planendach (Bühne: Sascha Gross) allerlei Bekannte und wollen etwas von ihr. Die Gutherzige weiß sich nicht anders zu helfen, als dass sie sich einen Vetter erfindet, der ab und zu Nein sagt.

Brecht war mit dem Stück nie ganz zufrieden. Jahrelang zog sich die Entstehung, mehrfach hat er die Szenen überarbeitet. Peter Wittenberg inszeniert den Klassiker über Kapitalismus und Egoismus ungeachtet der Zweifel des Autors als runde Sache. Sie wird allerdings etwas zu rund.

Häkchen auf der Checklist

Viele Verfremdungseffekte, mit denen Brecht die Illusion des Spiels brechen wollte, kann der Regisseur auf seiner Checklist abhaken. An der hinteren Wand des dunklen Bühnenkastens sitzen etwa die Darsteller und harren ihres Einsatzes. Josephine Bloéb schmatzt beim Reden an ihrem Kaugummi, bis man meint, die Figur aus dem Reality-TV zu kennen. Stefano Bernardin ist ein charmanter Hallodri in Lederjacke, der Shen Te das Herz stiehlt.

Vor den Augen des Publikums ziehen sich die Darsteller die Kostüme (Cedric Mpaka) an und switchen jeweils zwischen mehreren Rollen. Dass die Pumpe und die Schläuche, die den Wolkenbruch speisen, auf der Bühne sichtbar sind, ist ebenso im Brecht'schen Sinn wie, dass zwischendurch von der Rampe direkt zum Publikum gesprochen wird. Über Effekte reicht das aber nicht hinaus.

Der Abend bleibt somit brav. Irritation geht anders. Kraft kriegen die zweieinhalb Stunden, wenn Bernhard Moshammer auf der E-Gitarre die Musik von Paul Dessau spielt und das Ensemble roh mitsingt. Einmal wird es dabei zum menschlichen Förderband, das Säcke voll Tabak über die Bühne schleudert. Da wird die Brutalität der Verhältnisse, die Brecht meint, bedrückend. Sonst wähnt man sich eher in einem Zaubermärchen. Das ist hübsch und kurzweilig, aber auch harmlos. (Michael Wurmitzer, 25.9.2018)