Das Bemerkenswerteste an Terry Gilliams The Man Who Killed Don Quixote wird der Umstand bleiben, dass es den Film überhaupt gibt. Üblicherweise verenden vom Unglück verfolgte Arbeiten wie diese im Archiv. Doch Gilliams Hartnäckigkeit ist es zu verdanken, dass er nun, mehr als 25 Jahre nachdem es erstmals ein Budget dafür gab, tatsächlich ins Kino kommt.

Ein Lebensprojekt, an dem er fast gescheitert wäre: Regisseur Terry Gilliam mit seinem Lieblingsdarsteller Jonathan Pryce als Don Quixote.
Foto: Filmladen

Gilliams Stammschauspieler Jonathan Pryce spielt einen Quixote der Gegenwart, der sich in seine Fantasierolle geflüchtet hat; Adam Driver den Werberegisseur (aka Sancho Panza), der sich gegen die Macht des Faktischen aufbäumt. Das Resultat ist ein rechtes Durcheinander von einem Film, szenisch wild dahinwuchernd, aber nicht ohne Glanzmomente. Wir trafen in München einen gutgelaunten Gilliam, der in seinen Birkenstockschlapfen wie ein alter Hippie wirkte.

STANDARD: Anders als Orson Welles ist es Ihnen gelungen, einen "Don Quixote"-Film fertigzustellen. Ist das Ihrer Sturheit zu verdanken?

Gilliam: Es glich tatsächlich einem inneren Wettkampf mit Orson Welles. Nun, Welles ist gestorben, bevor er den Film finalisieren konnte ... Bei mir wurde der wichtigste Darsteller krank. Ich redete mir jedoch immer und immer wieder ein: "Du musst das schaffen!" Daraus wurde ein ganz eigener Rhythmus in meinem Leben.

STANDARD: Es ist aufgelegt, Ihre Probleme als Regisseur mit Don Quixote selbst zu vergleichen ...

Gilliam: Es wurde etwas Autobiografisches daraus, aber das war natürlich nie meine Absicht. Das Seltsame ist, dass dies auf fast jeden meiner Filme zutrifft: Meine Welt wird zu dem, worüber die Filme erzählen. Bei Brazil geriet ich in Streit mit Universal, die den Film in den USA nicht mehr herausbringen wollten, sodass wir es mit Guerillataktik versuchen mussten. Film und Realität sind verschmolzen – das ist nun wieder passiert. Doch ich sage immer: Der Film machte sich selbst, ich war nur Teil des Casts.

STANDARD: Das klingt zu einfach. Das glaube ich Ihnen nicht.

Gilliam: Ich suggeriere mir das selbst, während ich arbeite, weil ich es mag, wenn ich mir nicht selbst im Weg stehe. Ich diene nur dieser größeren Idee, und deshalb ist Arbeit so wichtig für mich, weil mein Ego darin verschwinden kann. Ich existiere gar nicht – der Dreh ist ein guter Zufluchtsort.

STANDARD: Hat sich das Projekt in all der Zeit stark verändert?

Gilliam: Es wurde immer besser. Der ursprüngliche Darsteller Johnny Depp war zwar ein ähnlicher Sancho wie nun Adam Driver. Aber er wachte nach einem Hieb auf den Kopf noch im 17. Jahrhundert auf. Die jetzige Version, die in der Gegenwart spielt, handelt viel stärker von Film und Kino – davon, was es mit den Menschen macht. Auch die Figur wird so facettenreicher. Man sieht, wie er am Anfang seiner Karriere voller Enthusiasmus ist, zehn Jahre später ist er ein Zyniker.

Original-Trailer zu "The Man Who Killed Don Quixote".
ONE Media

STANDARD: Sie sagten einmal, dass Sie gar nicht Regie führen, sondern nur sorgfältig Schauspieler auswählen. Understatement? Ihre Filme sind visuell stets extravagant.

Gilliam: Deswegen brauche ich die guten Schauspieler ja! Visuell sind meine Filme hyperreal oder: mehr als real, größer als die Wirklichkeit. Die Schauspieler müssen in den Bildern umso stärker sein. Leuten wie Jonathan Pryce, der ja ein versierter Theaterdarsteller ist, wurde von anderen Filmregisseuren immer gesagt, er soll seinen Einsatz herunterschrauben. In Brazil konnte er sich hingegen völlig gehen lassen. Meine visuellen Ideen begünstigen ganz unterschiedliche Schauspielformen.

STANDARD: Wie meinen Sie das?

Gilliam: Adam und Jonathan sind sehr unterschiedlich, aber beide bekommen im Film viel Raum, um sich zu entfalten. Ich forderte sie dazu auf, sich Freiheiten zu gewähren. Wir spielten einfach die ganze Zeit. Sie mussten auch nicht vor Bluescreens agieren. Die Windmühle, den gigantischen Schädel gibt es wirklich. Ein physischer Prozess: Die Darsteller reagieren auf das, was ich ihnen vorsetze. Ein Dinner oder ein paar Drinks davor, und wir sind bereit!

STANDARD: In allen Ihren Filmen bekommen imaginäre Szenen viel Platz. Sie waren schon bei Monty Python für Tricktechnik zuständig. Ist Film eine erweiterte Realität?

Gilliam: So sehe ich einfach die Welt – andere Leute scheinen das nicht zu bemerken. Ich kann mich erinnern, dass ich als junger Regisseur einmal gefragt wurde, wie ich meine Fantasieszenen inszenieren würde. Ich antwortete, auf die genau gleiche Art, wie ich die normalen, realen Szenen filme. Ich sehe diesen Unterschied zwischen Realem und Imaginärem nicht, für mich sind das zwei Kräfte, die permanent umeinander herum tanzen. Die Beziehung zwischen den beiden ist doch, worum es in Don Quixote geht. Da der Träumer, der Fantastiker, der Wahnsinnige, dort der Pragmatiker in Person Sanchos. Es geht nicht um eine Person, sondern um die Beziehung der beiden.

STANDARD: Dazu mischen Sie eine gute Portion Absurdität.

Gilliam: Unbedingt, das ist das Herz unserer Existenz. Wenn man die Absurdität nicht akzeptiert, hat man unter Garantie ein erbärmliches Leben. Es ist eine großartige Überlebenstechnik.

STANDARD: Bei Monty Python war der Wahnsinn auch die Methode, die Zwänge der Gesellschaft aufzubrechen. Gilt das noch immer?

Gilliam: Verrückte und Kinder sind die Einzigen, die die Welt mit klaren Augen sehen – aber man umgeht sie! Wir leben heute in einer Ära der Heuchelei. Die Wahrheit ist nichts mehr wert. Orwell pur, George wäre so zufrieden. Schwarz ist weiß, unten ist oben. Wörter sind angsteinflößende Dinge. Ohne Kontext haben sie keine Bedeutung. In der Kommunikation geht es allerdings um Zusammenhänge. Ich weiß eigentlich nicht mehr, was die Leute denken. Alles, was ich je getan habe, war eine Reaktion auf die Welt. Heute würde ich nicht mehr wissen, wo ich beginnen soll.

STANDARD: Jetzt ist Ihnen doch noch der Humor ausgegangen.

Gilliam: Satire wird unmöglich, wenn die Welt selbst zur Satire geworden ist! Es ist keine gute Zeit für Komiker, wenn die Witze zu offensichtlich werden. Der Witz ist heute leider lebendig. (Dominik Kamalzadeh, 26.9.2018)