Dirigent Teodor Currentzis.

Foto: julia wesely / wiener konzerthaus

Wien – Es war die kürzeste Dritte Mahler aller Zeiten, der erste Satz kann allerhöchstens fünf Minuten gedauert haben. Und der letzte Satz war so schön, dass es weh tat: innig, beseelt, zärtlich, intensiv. Diese Zurücknahme in Takt 17 … Ein bemitleidenswertes Hartei, wem da nicht die Augen schimmerten und das Herz vor Glück schmerzte. Ein langsamer Mahler-Satz, der diese körperliche Intimität wie bei Bernstein hatte. Niemand hat gehustet. Und die Steigerungen waren so gewaltig, dass es einem den Atem raubte. Gänsehaut.

Zu Beginn dieses sechsten Satzes dachte man sich kurz: Kann er es nicht einfach einmal fließen lassen? Muss er selbst in diesem ruhigen Plädoyer für die Liebe unablässig intervenieren, hier anschubsen, dort Bögen zeichnen? Aber wenn das Resultat so überwältigend ist: soll er. Muss er.

Tropfen der Skepsis

Denn nach der ersten Stunde war in einem Meer der Begeisterung der einzige Tropfen der Skepsis der gewesen: dass Currentzis übergestaltet, dass er alles zu deutlich zeigt. Manchmal wirkte Mahlers Dritte wie ein überrenoviertes Gemälde mit zu intensiven Farben und zu starken Konturen. Zu viel Extreme, zu wenig Mitte.

Aber die Extreme hatten es eben in sich: dieses Höllenbestiarium im ersten Satz. Diese mit dem allergrößten Überschwang gezeichneten Melodien, strahlend wie der glühende Schweif eines Meteors. Das filigrane Flirren der Geigen wie ein Schwarm winziger Fliegen. Im zweiten Satz Töne, so fein wie Schneeflocken, im dritten Linien der Streicher, so zart wie Dunstschleier in der Morgendämmerung. Der Vierte war ganz Ruhe, Gerhild Romberger gab mit edel-sattem Alt Nietzsche; der Fünfte war goldhelle Heiterkeit, den Damen der Wiener Singakademie und den Wiener Sängerknaben sei Dank.

Antreiber und Verführer

Teodor Currentzis war wieder Antreiber und Verführer, Schalk und Tanzmeister und XL-Rumpelstilzchen in schwarzen Stretch-Jeans. Ein Detailarbeiter, der Mahlers schnell wechselnde Szenerien akkurat nachstellte und ihnen Leben einhauchte, sie wachküsste. Das SWR-Symphonieorchester folgte dem frisch angetrauten Verführer wie ein Schatten, wie ein rotwangiger Liebhaber.

Es war ein Konzert, das man erschöpft verließ: komplett fertig, komplett glücklich. Ein Konzert, das einen rührte, auch weil es wieder einmal vor Ohren führte, was für ein Glück Musik ist, welches Wunderding doch so ein Symphonieorchester sein kann und was für ein Labsal doch so eine Mahler-Symphonie ist. Besonders eine wie die Dritte, die letztendlich nur ein gigantisch großes, weltumarmendes Plädoyer für die Liebe ist. (Stefan Ender, 26.9.2018)