Überall in Europa, daran gibt es keinen Zweifel, sind die Sozialdemokraten in der Krise. Was hatten sie einst, speziell in Österreich in ihrer großen Zeit, was sie heute nicht mehr haben? Einfache Antwort: Entscheidend war das Bündnis zwischen den Arbeitern und den Intellektuellen, in Österreich vorrangig den jüdischen Intellektuellen. Von Victor Adler bis Bruno Kreisky.

Die Nazis schlachteten diese Tatsache weidlich aus, aber die Resultate überzeugten genügend Wähler, um den Sozialdemokraten über hundert Jahre große Erfolge zu sichern. Diese intellektuelle Personalreserve fehlt heute, wie man an der mühsamen Suche nach einer neuen Führungsfigur sehen konnte. Nicht dass es links der Mitte heute keine gescheiten Leute mehr gäbe, aber die SPÖ hat es bisher nicht geschafft, diese in größerer Zahl an sich zu binden. Gebildete Menschen mit sozialem Gewissen sind zwar bereit, gegen Fremdenfeindlichkeit zu demonstrieren oder für einen Mann wie Alexander Van der Bellen wahlzukämpfen, aber nicht, in SPÖ-Sektionen traditionelle Parteiarbeit zu machen. Möglich, dass Pamela Rendi-Wagner es schafft, mit dieser Zielgruppe, aus der sie selbst stammt, ins Gespräch zu kommen.

Arbeiterpartei

Und die Arbeiter? Von jeher der Kern der historischen Arbeiterpartei? Die wählen mehrheitlich FPÖ, weil sie sich nicht verstanden und von ausländischen Zuwanderern bedroht fühlen. Freilich, ein gewaltiger Teil der Arbeiterklasse von heute hat selbst einen Migrationshintergrund, ein Umstand, der sich im Führungspersonal der SPÖ kaum widerspiegelt. Wo sind die gut integrierten serbisch-, türkisch-, arabischstämmigen Gewerkschafter, Abgeordneten, Bezirksräte? Sie könnten den einheimischen Kollegen signalisieren: Wir gehören zu euch, wir vertreten eure Interessen, wir tun dasselbe, was einst eure tschechischen und slowakischen Großeltern getan haben. Und den Zugewanderten: Ihr seid nicht ausgeschlossen, ihr habt hier eure Chance, genauso wie wir.

Diesen Spagat zwischen alteingesessenen und neuhinzugekommenen Arbeitnehmern haben die Sozialdemokraten der Zwischenkriegszeit geschafft und damit Erfolg gehabt. Klasseninteressen siegten über vermeintliche völkische Interessen. Schön wär's, wenn die Neuen in SPÖ und Gewerkschaft diese Möglichkeit erkennten. Ohne Angst, damit "unsere Leute" zu verprellen. Die Botschaft müsste sein: Auch Migranten sind "unsere Leute".

Kickl-Eskapaden

Dazu wäre freilich eine klarere Linie gegen Fremdenhass und Rechtsextremismus nötig, der mittlerweile in der Regierung angelangt ist und nicht nur deklarierten Oppositionellen Angst macht. Die SPÖ war hier unter dem Motto "FPÖ-Wähler zurückholen" bisher immer noch ein bisschen zögerlich. Immer noch schielten einige heimlich nach einer Vielleicht-doch-Koalition mit der FPÖ à la Burgenland. Die letzten Kickl-Eskapaden haben hoffentlich manchen sogenannten Pragmatikern die Augen geöffnet.

Inzwischen fürchten sich immer mehr Menschen, auch ÖVP-Wähler, mehr vor den Kickls und Vilimskys als vor den Roten. Man muss kein Sozialdemokrat sein, um der neuen Parteichefin der SPÖ für ihren Job alles Gute zu wünschen. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 26.9.2018)