Im Klagenfurter Museum für Moderne Kunst Kärnten (MMKK) findet dieser Tage eine ungewöhnliche Theateraufführung statt. Das Theater "Wolkenflug" wird unter der Leitung von Ute Liepold innerhalb der MMMK-Ausstellung "Das Andere Land", kurartiert von Bernd Liepold-Mosser und Christine Wetzlinger-Grundnig, ein Diskurs-Theater aufführen. Es handelt sich dabei aber um keine normale Theateraufführung, sondern um eine Ko-Produktion zwischen Museum, Theater Wolkenflug sowie einem wissenschaftlichen Drittmittel-Projekt am Institut für Kulturanalyse an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

In diesem Projekt beschreiten Kunst und Wissenschaft einen ungewöhnlichen Weg. Das Forschungsvorhaben trägt den Titel "Performing Reality – Dis- und Re-artikulation des Dispositivs Kärnten/Koroška". Mit auf der Bühne stehen neben den ausgebildeten Schauspielerinnen und Schauspielern die Kulturwissenschaftlerinnen und Kulturwissenschaftler des Instituts für Kulturanalyse sowie der Naked Lunch-Sänger Oliver Welter, der eigens einen Song für das Stück beigesteuert hat, der am Ende gemeinsam mit dem Publikum gesungen wird.

Oliver Welter von Naked Lunch
Foto: Stefan Schweiger

Die Theateraufführung ist ein erstes Zwischenergebnis des am 1.1.2018 gestarteten Drittmittelprojekts (Laufzeit drei Jahre), das im Rahmen des PEEK-Programms zur Förderung der Künste vom österreichischen FWF (AR 449) gefördert wird.  

Bei diesem Forschungsvorhaben handelt sich um eine künstlerisch-forschende und kulturwissenschaftliche Ko-Produktion, die mit ethnografischen Methoden sowie mit künstlerischen Mitteln des Theaters versucht, ein umkämpftes und umstrittenes historisches Terrain neu beziehungsweise anders zu vermessen. Im Rahmen eines weiteren Klagenfurter EU-Horizon2020-Projekts (TRACES) wird ein solch konfliktträchtiges Kulturerbe als Contentious Cultural Heritage bezeichnet. Gemeinsamer Forschungsgegenstand sind verschiedene Text- und Bildmaterialien und aus Beobachtungen und Interviews gewonnene Daten.

Der Umgang mit der Erinnerung

Bei der Kärntner Volksabstimmung vom 10. Oktober 1920 wurde über den Verbleib von Teilen Kärntens bei Österreich entschieden. Die Erinnerung an die Volksabstimmung und den sogenannten Abwehrkampf prägt die Kärntner Landesgeschichte und -geschicke noch immer und findet ihren Ausdruck insbesondere im bis heute schwelenden Konflikt um den Stellenwert der slowenischen Sprache.

Doch es geht nicht darum, die Geschichte des Abwehrkampfes beziehungsweise des Verlaufs der Volksabstimmung 1920 nochmals zu erforschen. Im Mittelpunkt steht vielmehr der Umgang mit der Erinnerung an dieses historische Ereignis, an das in Kärnten bis heute jährlich am 10. Oktober erinnert wird.

Dabei interessiert das nun bald hundert Jahre andauernde Re-Enactement der sogenannten Kärntner Urangst. Die alljährlich wiederkehrenden 10.-Oktober-Feiern haben die Spaltung des Landes und Ausgrenzung der Kärntner Slowenen immer wieder in das öffentliche Bewusstsein eingeschrieben. Bei diesen Feiern waren die Organisatorinnen und Organisatoren in der Vergangenheit selten an der politischen demokratischen Innovation "Volksabstimmung" interessiert. Vielmehr wurde in Kärnten jahrzehntelang vor allem ein imaginierter "Abwehrkampf" geführt. Die Kärntner Volkskunde entwickelte hierbei eine Form der Feiergestaltung, die die Differenz und nicht das Gemeinsame innerhalb der Bevölkerung betonte.

Dialogisches Experiment

Dem Projekt "Performing Reality" liegt die Annahme zugrunde, dass Wirklichkeit in performativen Akten hergestellt und somit auch das Ereignis der Volksabstimmung 1920 durch die rituellen Praktiken der 10.-Oktober-Feiern und den öffentlichen Diskurs kontinuierlich performiert und fortgeschrieben wird.

Das Forschungsvorhaben untersucht nun diesen Umgang mit der Erinnerung an die Volksabstimmung und nimmt die konfliktbeladenen und verfestigten Sichtweisen auf die Kärntner Geschichte in den Blick. Ein Ziel ist eine Verschiebung im Diskurs sowie die Herstellung eines Wissens um die Bedeutung performativer Elemente bei der jährlichen Inszenierung des Konflikts am 10. Oktober.

Das transdisziplinäre Arts-based-Researchprojekt versteht sich als ein dialogisches Experiment, bei dem prozessorientierte Suchbewegungen und wechselseitige Reflexion Teil des Forschungsprozesses werden. Dabei wird davon ausgegangen, dass das Theater über künstlerische Mittel verfügt, diese erstarrten Sichtweisen zu verflüssigen und neue Perspektiven auf Geschichte und gegenwärtiges Leben in Kärnten zu eröffnen. Das Zusammengehen auf die experimentelle Anlage des gesamten Projekts.

Theater Wolkenflug
Foto: Stefan Schweiger

Methodisch bedeutet das Zusammengehen von ethnografisch und historisch argumentierender Kulturanalyse mit dem Theater eine große Herausforderung. Kunst und Wissenschaft sind unterschiedliche Felder, sie gehorchen jeweils unterschiedlichen Anforderungen an ihr Tun. Sie benutzen auch eine jeweils andere Sprache, unterschiedliche Ausdrucksformen und Repräsentationen.

Die Erkenntnisse der künstlerisch-wissenschaftlichen Forschung werden mittels transdisziplinärer Montage in szenische Anordnungen übersetzt. In jedem der drei Projektjahre ist eine Theaterproduktion vorgesehen. Das dieser Tage im Klagenfurter MMKK zur Aufführung kommende Diskur-Theater ist ein erstes Ergebnis. (Klaus Schönberger, 27.9.2018) 

Die künstlerische Leitung liegt bei Dr. Bernd Liepold-Mosser (Produktion und Regie), künstlerische Mitarbeiterin ist Dr. Ute Liepold (Regie, Theater Wolkenflug). Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind Dr. Ute Holfelder sowie Dr. Wilhelm Kuehs (Empirische Kulturwissenschaft, Institut für Kulturanalyse). Univ. Prof. Dr. Klaus Schönberger obliegt die wissenschaftliche Leitung.

Kontakt
Institut für Kulturanalyse
Alpen-Adria-Universität Klagenfurt
Universitätsstrasse 65-67
Dr. Ute Holfelder
Mail: ute.holfelder@aau.at
Tel. 0463 2700 2014

Termine
28.,29.9.2018, jeweils 20 Uhr
3.,4.,5.10.2018, jeweils 20 Uhr 
6.10.2018, 22 Uhr

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