Der Semmering gefällt mir nicht, es schaut dort so kitschig aus." Diese von Egon Schiele vertretene Meinung entsprach seinerzeit definitiv der einer Minorität. Konträr konstatierte Hugo von Hofmannsthal: "Es ist so ein schöner Moment in der Landschaft." Stets von Ambivalenz geprägt war das Verhältnis, das Österreichs Literaten zu ihrer Heimat hegten. Besonders die Refugien und Schaffensorte der Schriftsteller und deren Entourage in der Ära des Fin de Siècle bis zum Zweiten Weltkrieg tragen zum Nimbus, einen wesentlichen Beitrag, nebst gesellschaftlichen, sozialen und politischen Metamorphosen, zum künstlerischen OEuvre geleistet zu haben, bei. Im Positiven wie auch im Negativen.

Als Symbol der Veränderung, als Synonym einer untergehenden Epoche können heute noch die sogenannten Luftkurorte der Wiener Alpen zwischen Semmering und Schneeberg entlang der Südbahn gelten. Die exzentrische Mischung aus unangetasteter Natur und mondäner Architektur erwirkte kontemplative Ruhe. Diesem Umstand tragen zwei neue Publikationen nun Rechnung. Désirée Vasko-Juhász edierte in ihrer Monografie "Die Südbahn" sorgsam Exzerpte von Literaten, die der Hektik der Großstadt entflohen. Mit zeitgenössischen Fotografien, Plakaten und Bildern gelingt es, diese explizite Gelassenheit, die zur gepflegten Langeweile geraten kann, harmonisch einzufangen.

Der Charme desolée, den Luxushotels wie das Panhans und die typischen, mit Kuppeln und Türmchen sowie älplerisch-urbanen Ornamenten verzierten Patrizierhäuser ausstrahlen, korreliert wunderbar mit den Werken großer Literaten, die die bourgeoise Gesellschaft und deren Seele pointiert sezierten. Michaela Schlögl rekapituliert in großartiger Façon "30 Jahre Festspiele Reichenau" unter dem Motto "So machen wir Theater". Auf den Spuren von Altenberg, Kraus, Musil, Schnitzler, Freud, Friedell, Stefan Zweig, Hermann Bahr, Polgar, Wittgenstein, Alma Mahler, Franz Werfel et alii decouvriert die Autorin verborgene Verflechtungen biografischer mit geografischen sowie gesellschaftlichen Details.

Schmerzhaft führen beide Anthologien einmal mehr vor Augen, welch intellektuelle Ausnahmestellung Österreich vor 1938 innehatte. Die omnipräsente Melancholie der Landschaftspanoramen und die Verlassenheit der heute leeren Gebäude gemahnt an die Notwendigkeit der Revitalisierung literarischer Traditionen. (Gregor Auenhammer, 27.9.2018)