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Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) wehrt sich gegen Kritik.

Foto: Reuters / HEINZ-PETER BADER

Wien – Auf die Krankenkassen und die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) kommen mit der türkis-blauen Sozialversicherungsreform von 2019 bis 2023 finanzielle Mehrbelastungen von mehr als einer Milliarde Euro zu. Darüber hinaus dürften mindestens 500 Millionen an Fusionskosten für die Zusammenführung der Sozialversicherungen und Krankenkassen anfallen, die bisher nicht angesetzt wurden.

Das geht aus ersten rechnerischen Bewertungen der Gesetzesvorschläge der Regierung durch Sozialversicherungsexperten hervor. Demnach werden den neun Gebietskrankenkassen, die zur Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) fusioniert werden, im Zeitraum 2019 bis 2023 zusätzliche Belastungen von 483 Millionen Euro aufgebürdet.

Mehrbelastung durch AUVA-Einsparungen

Diese Zahl setzt sich zum einen aus von der Regierung angeordneten höheren Zahlungen in den Fonds der Privatkrankenanstalten (Prikraf) zusammen, in den die Krankenkassen zuletzt 121,5 Millionen Euro einzahlten. Ab 2019 erhöht sich dieser Betrag um rund zehn Millionen und steigt bis 2023 auf über elf Millionen – ergibt in Summe zusätzliche Kosten von 53 Millionen Euro. Dazu kommen drei Millionen an höheren Pflegekostenzuschüssen im Zusammenhang mit den privaten Krankenanstalten.

Durch die Einsparungen bei der AUVA, die unter der Bezeichnung "Besonderer Pauschbetrag § 319a" laufen, entstehen den Krankenkassen Mehrbelastungen von 294 Millionen Euro, errechneten die Sozialversicherungsexperten. Weitere 133 Millionen ergeben sich durch die Umgestaltung und Änderungen bei den Zahlungsmodalitäten rund um den bisherigen Ausgleichsfonds der Gebietskrankenkassen, der zum "Innovationsfonds" wird. Das Finanzministerium reduziert hier im Zuge der Reform seine Dotierung.

500 Millionen Euro Fusionskosten

Bei der AUVA ergeben sich laut den Berechnungen durch die Regierungspläne von 2019 bis 2023 in Summe Mehrbelastungen von 603 Millionen. Diese Summe resultiert aus der im aktuellen Gesetzespaket enthaltenen Senkung der Unfallversicherungsbeiträge für Unternehmen (629 Millionen), einer weiteren laut Regierungsprogramm ankündigten Senkung der Unfallversicherungsbeiträge zu einem späteren Zeitpunkt (268 Millionen) und der Übernahme von 294 Millionen ("Besonderer Pauschbetrag § 319a") durch die Krankenkassen, die künftig nicht mehr bei der AUVA anfallen.

Bei den Fusionskosten für die Zusammenlegung der Sozialversicherungen und Krankenkassen gehen die Experten von mindestens 500 Millionen Euro aus. Dies Berechnungen fußen einerseits auf den Erfahrungen der Zusammenlegung der Pensionsversicherungsanstalten der Arbeiter und Angestellten zur PVA, die laut Rechnungshof 200 Millionen Euro gekostet hat.

Funktionärskosten vernachlässigbar

Zudem liegen seit dem Vorjahr Schätzungen für die Zusammenlegung der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) und die Sozialversicherung der Bauern (SVB) vor, die zur Sozialversicherung der Selbständigen fusioniert werden. Die Kosten dafür sollen rund 90 Millionen betragen. Um die 100 Millionen an Kosten werden für die Zusammenlegung der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter und jener für Eisenbahn und Bergbau erwartet. Deutlich jenseits der 200 Millionen dürften die Kosten für die Fusion der neun Gebietskrankenkassen liegen, so die Sozialversicherungsexperten.

Mit der von der Regierung angekündigten Einsparung von Funktionären werden sich die Mehrbelastungen nicht kompensieren lassen. Die Aufwendungen für die Selbstverwaltung, dazu zählen Sitzungsgelder für Funktionäre und die Zahlungen für die Obleute und Direktoren sowie Fahrtkosten, betrugen 2017 nur rund 5,3 Millionen Euro.

Regierung weist Vorwürfe zurück

Kritiker der Regierungspläne monieren, dass den Versicherten und dem Gesundheitssystem durch die Maßnahmen mehr als eine Milliarde Euro entzogen wird. Nutznießer seien vor allem Wirtschaft und Industrie, die künftig geringere Versicherungsbeiträge zahlen. Die fehlenden Mittel würden für die Versicherten und Patienten Leistungskürzungen mit sich bringen, zu höheren Beiträgen oder zur Einführung von Selbstbehalten führen, so der Vorwurf.

Von Regierungsseite weist man dies zurück. Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) betonte erst diese Woche wieder, dass Versicherte und Patienten im Mittelpunkt der Sozialversicherungsreform stünden. Es werde keine Beitragserhöhungen geben, "weil wir im System sparen".

Beschluss im Ministerrat noch im Oktober möglich

Das Einsparungspotenzial der Sozialversicherungen durch schlankere Strukturen bezifferte Hartinger-Klein unter Berufung auf Experten auf 200 bis 300 Millionen Euro pro Jahr. Bei der Präsentation des Reformvorhabens war von einer Milliarde bis 2023 die Rede. Im Begutachtungsentwurf zum Sozialversicherungs-Organisationsgesetz gab die Regierung 33 Millionen bis 2023 und 350 Millionen bis 2026 an.

Die Begutachtung des Gesetzespakets läuft noch bis 19. Oktober. Bereits in der Woche danach könnte die Regierung die Reform in der Ministerratssitzung am 24. Oktober beschließen und ans Parlament weiterleiten. (APA, 28.9.2018)