Pressefreiheit in Deutschland im Jahr 2018: Der Journalist Ertugrul Yigit, der die regierungskritische Onlinezeitung "Avrupa Postası" betreibt, trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift "Pressefreiheit für Journalisten in der Türkei" ...

Foto: APA/AFP/Schwarz

Bild nicht mehr verfügbar.

... und muss die Pressekonferenz unter physischer Gewalt verlassen ...

Foto: Reuters/Bensch

Bild nicht mehr verfügbar.

... unter den Blicken Merkels und Erdoğans.

Foto: AP/Sohn

Can Dündar kam wegen des Drucks Erdoğans erst gar nicht zur Pressekonferenz.

Foto: APA/AFP/Saget

Betont ernst gab sich Frank-Walter Steinmeier beim Empfang seines türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdoğan. Kein Lächeln entschlüpfte dem deutschen Bundespräsidenten beim Abschreiten der militärischen Ehrenformation, und auch nicht beim gemeinsamen Foto mit den Präsidentengattinnen vor dem Schloss Bellevue. Bundeskanzlerin Angela Merkel hingegen empfing Erdoğan wenig später in betont freundlicher Stimmung.

Es ist ein in jedem Sinne schwieriger Gast, den sich die deutsche Regierung ins Land geholt hat. Seit Jahren sind die Beziehungen zwischen Berlin und Ankara nachhaltig zerrüttet. In regelmäßigen Abständen kommen aus Anatolien Beschimpfungen, Erpressungen und unverhohlene Drohungen gegen europäische Regierungen, insbesondere die deutsche.

Doch zu wichtig sind die wirtschaftlichen Verflechtungen Deutschlands mit der Türkei für Berlin, als dass sich Merkel erlauben könnte, Erdoğan durch harsche Kritik zu verprellen. Und zu tief geht die Unterwanderung Deutschlands durch die türkischen Geheimdienste und Ditib, den Ableger der türkischen Religionsbehörde in Deutschland. Erdoğan jedoch tritt weiterhin mit ungebrochenem Selbstbewusstsein auf, obwohl sein Land in einer dramatischen Wirtschaftskrise steckt, die Lira ins Bodenlose fällt und er auf Finanzspritzen aus Europa angewiesen ist.

Türkei begehrt Auslieferung von "Terroristen"

Und so kam es, dass die Türkei auch im Umfeld von Erdoğans Deutschland-Besuch die Muskeln spielen lassen konnte. Schon nach seiner Ankunft am Donnerstag grüßte der türkische Staatschef seine Anhänger mit dem islamistischen Rabia-Gruß der Muslimbrüder und wurde seinerseits mit dem Gruß der rechtsextremen Grauen Wölfe empfangen.

Vorab erhielt die deutsche Regierung eine Liste mit 69 "Terroristen", die sich in Deutschland befinden sollen. Diese Liste inkludiert die Adressdaten und Fotos der Beschuldigten vor ihren Häusern – ein klares Signal, dass die Türkei über ein funktionierendes Spitzelnetzwerk verfügt und dass die betreffenden Personen in Deutschland nicht vor dem Zugriff Erdoğans sicher sind. Die Infrastruktur dieses Netzwerks für die Überwachung der Millionen Deutschtürken kann Ankara unter den Augen der deutschen Behörden ungeniert weiter ausbauen: Am Samstag wohnt Erdoğan der Eröffnung der neuen Ditib-Moschee in Köln bei. Weitere Provokationen sind dabei nicht unwahrscheinlich.

Merkels Appeasement

Auch der Journalist Can Dündar findet sich auf der "Terroristen"-Liste, deren Auslieferung die Türkei fordert. Dündar war für die gemeinsame Pressekonferenz Merkels mit Erdoğan akkreditiert. Nachdem die Türkei mit einer Absage des Medienauftritts gedroht hatte, zog der Journalist seine Teilnahme zurück.

Deutlicher hätte Erdoğan nicht klarmachen können, dass Merkels jahrelange Appeasementpolitik gegenüber der Türkei gescheitert ist. Die Bundeskanzlerin ist spätestens seit dem umstrittenen Flüchtlingsdeal in einem Abhängigkeitsverhältnis zum türkischen Machthaber. Diese Geiselhaft schlägt sich in der deutschen Regierungslinie der vergangenen Jahre gegenüber der Türkei nieder. Das zeigte sich unter anderem bei der Affäre um den Satiriker Jan Böhmermann und auch bei der Armenierresolution des Bundestags, die von Merkels Kabinett aus Angst vor Erdoğans Zorn geschwänzt wurde. Auch im Fall inhaftierter Deutscher in der Türkei wie dem Journalisten Deniz Yücel reagierte Berlin handzahm.

So, wie es Merkel verabsäumt hatte, sich schützend vor Böhmermann zu stellen, so wäre sie auch am Freitag gefordert gewesen, die Pressefreiheit zu schützen und Can Dündars Teilnahme an der gemeinsamen Pressekonferenz zu erzwingen. Für die Demokratie in Deutschland ist es jedenfalls eine Bankrotterklärung, wenn ein Staatsgast die Entscheidungsmacht darüber hat, welche Journalisten ihm genehm sind und welche nicht an einer Pressekonferenz teilnehmen können. (Michael Vosatka, 28.9.2018)