Der Grinch zählt zu den pathologischen Neidern.

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Die größte Prüfung des Alters sei es, junge Zahnreihen neidlos anzusehen, schrieb der alte Goethe wenige Jahre vor seinem Tod nicht ohne Ironie. Eine Lücke zwischen seinen Vorderzähnen erinnerte den Dichter daran, dass seine Jugend unwiederbringlich vorbei war – und junge Frauen ihn nur noch belächelten, wenn er um sie warb.

Aber nur die wenigsten Neider nehmen die schmerzhafte Emotion, die im christlichen Kanon der sieben Todsünden aufscheint, mit Ironie und gießen sie in dichterische Formen. Gegen das Alter lässt sich ohnehin kaum ankämpfen. Aber was, wenn man dem Nachbarn das Auto neidet? Oder Zuwanderern den Arbeitsplatz?

Nirgendwo gedeiht Neid besser als dort, wo das Selbstwertgefühl angekratzt ist. Wer sozial am Rand steht oder verunsichert ist, nimmt besonders genau wahr, was andere haben und man selbst nicht. Der Vergleich mit anderen macht schmerzhaft deutlich, was einem selbst zum vermeintlichen Glück fehlt. Das können volle Zahnreihen sein, aber auch sozialer Status oder Konsumgüter. Populisten wissen das – und sie schaukeln Massen gezielt hoch.

Linker und rechter Neid

Linke Gruppen waren immer wieder darin erfolgreich, die Massen beim Neid zu packen. Zur Zeit der Wirtschaftskrise nach der Lehman-Pleite etwa "okkupierten" tausende Menschen wochenlang die Wall Street, um gegen zu hohe Bankergehälter zu protestieren.

Heute spielen Rechtspopulisten die erste Geige im Neidkonzert. Ob auf der Facebook-Seite von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache oder im Twitter-Feed des italienischen Vizepremiers Matteo Salvini: Europas Rechtspopulisten warnen vor Wirtschaftsflüchtlingen, die es sich in den hiesigen Sozialstaaten gemütlich machen wollten – auf Kosten der Einheimischen.

Populisten entfachen meist destruktiven Neid. Anstatt der eigenen Wählerschaft bessere ökonomische Perspektiven zu bieten, wollen sie etwa Zuwanderer schlechterstellen – durch Abschiebung, Kürzung von Sozialleistungen oder Einschränkungen beim Ausleben der eigenen Religion.

Wer keine höhere Ausbildung hat oder mit seinem Einkommen kaum über die Runden kommt, ist für solche Narrative besonders empfänglich. Wähleranalysen zeigen, dass Rechtspopulisten bei finanziell und sozial schlechtergestellten Bevölkerungsschichten auf größere Resonanz treffen. "Wir sind das Volk" lautet etwa der Slogan der Dresdner Pegida-Bewegung, und er meint frei übersetzt: "Macht für uns Politik, nicht für die!"

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"Wir sind das Volk" lautet etwa der Slogan der Dresdner Pegida-Bewegung, und er meint frei übersetzt: "Macht für uns Politik, nicht für die!"
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Ressourcen und Diskurshoheit

Für Birgit Sauer liegt der Erfolg der populistischen Neidrhetorik in der neoliberalen Marktwirtschaft begründet: "Wettbewerb enthält Neid. Jeder ist für sich selbst verantwortlich und versucht, den anderen zu übertrumpfen", erklärt die Politikwissenschafterin, die an der Uni Wien lehrt.

Weil Zuwanderer häufig in niedrigere soziale Schichten migrieren, konkurrieren sie direkt mit dem Stimmenreservoir der Rechtspopulisten um Sozialleistungen und Jobs. Das passt mit einer geläufigen evolutionsbiologischen Erklärung von Neid zusammen: Ihr zufolge hilft uns Neid, im Wettbewerb um knappe Ressourcen zu reüssieren.

Die ganze Geschichte ist das aber nicht. Empirische Studien zeigen: Neid ist im Kibbuz, in sozialistischen und besonders egalitären Gesellschaften mindestens genauso verbreitet wie in modernen Marktwirtschaften. Und auch heute gibt es linkspopulistische Demagogen wie die italienische Fünf-Sterne-Bewegung, die die Massen gezielt beim Neid packen und damit Mehrheiten gewinnen.

Nur sind die Beneideten andere – zum Beispiel finanzielle und intellektuelle Eliten, mit denen auch um Diskurshoheit und nicht nur um Ressourcen konkurriert wird.

Sanktionen

Meistens beneiden wir Menschen, die uns ähnlich sind. Kaum ein Durchschnittsverdiener ist neidisch, wenn er an Gehälter von Stars denkt. Eher tut es weh, wenn der Büronachbar früher geht, aber besser verdient. Oder wenn er besonders humorvoll und beliebt ist. Charaktereigenschaften, Talente und Aussehen von Mitmenschen lösen die zerfressende Emotion genauso häufig aus wie Güter, Geld und Status.

"Neid gibt es, wo es Menschen gibt", sagt Sara Protasi, Professorin für Philosophie an der University of Sound Puget in Seattle: "In unterschiedlichen Gesellschaften bezieht sich die Emotion auf unterschiedliche Objekte." In hierarchisch geprägten Gesellschaften sei Neid historisch oft stark ausgeprägt gewesen und moralisch sanktioniert worden. Das habe unter anderem zur Stabilität solcher Strukturen beigetragen.

"Das Neidgefühl bezieht sich auf das vermutete glückliche Gefühl, das der andere hat", erklärt der Grazer Gesundheitspsychologe Ulf Lukan: "Es geht um die Fähigkeit, mit begrenzten Möglichkeiten glücklich zu sein." Das betrifft jeden Menschen und muss erst gelernt werden. Niemand kann sich aussuchen, welche Talente er hat und wie er aussieht.

Deshalb sind besonders Kinder und Jugendliche, die noch keine gefestigten Persönlichkeiten sind, oft neidisch auf Menschen in ihrem Umfeld. Und deshalb sind Frauen und Männer gleichermaßen für Neid anfällig. Und deshalb kommt Neid in allen Gesellschaftsformen vor.

Für Protasi ist Neid nicht immer verwerflich. Es gibt auch positiven Neid, erklärt die Philosophin. Nämlich dann, wenn der Neid dazu anspornt, an sich selbst zu arbeiten – und nicht dazu, anderen zu schaden. "Das ist dann der Fall, wenn uns das, wofür wir jemanden beneiden – zum Beispiel eine Beförderung –, mehr beschäftigt als die Person, die im Gegensatz zu uns befördert wurde."

Mögliche Nebenwirkung: Wer es nicht schafft, denselben Schritt auf der Karriereleiter zu machen, oder auch nach der Beförderung nicht wirklich glücklich ist, verfällt leicht in depressive Zustände.

Selten therapierte Emotion

Therapiert wird Neid selten. Und wenn, dann handelt es sich fast immer um destruktiven Neid. Pathologische Neider (Neid hat oft mit Narzissmus und überzogenen Ansprüchen an sich selbst zu tun) werden oft aggressiv. Weil Neid weithin negativ konnotiert ist, sind aber nur wenige bereit, sich Neidgefühle einzugestehen.

Therapieren lässt sich das schmerzhafte Gefühl nur, wenn es angesprochen wird – und wenn man ihm auf den Grund geht. "Oberflächlich gibt es einige Regulationsmechanismen", erklärt der Gesundheitspsychologe Lukan. Oft reden wir uns madig, worum wir andere beneiden.

Bei Männern entlädt sich die beißende Emotion mitunter in Gewalt, Frauen tragen sie oft lange mit sich her um. Neid wird man letztlich aber nur los, wenn man seine Ursachen reflektiert und damit verbundene Verhaltensmuster aufbricht, sagt Lukan.

Wir wissen von uns selbst, wie leicht es ist, andere schlechtzumachen, und wie schwer, am eigenen Glück zu basteln.

Dabei gäbe es recht einfache Patentrezepte – zumindest gegen den alltäglichen Neid, der auch zerfressend sein kann. "Oft hilft, sich zu fragen, ob es überhaupt einen Grund gibt, neidisch zu sein", sagt Protasi. "Vielleicht ist der andere nicht talentierter am Klavier, sondern hat einfach viel mehr geübt." Außerdem müsse man seine Werthaltung hinterfragen, empfiehlt die Philosophin: "Warum ist es mir überhaupt wichtig, was andere im Vergleich zu mir haben?" (Aloysius Widmann, 29.9.2018)