Die Zeit drängt. Bis zum Jahresende muss Österreich seine Energie- und Klimapläne in Brüssel vorlegen und mit ihnen das erste Bündel an Maßnahmen, mit denen die Reduktion von Treibhausgasemissionen (THG) gemäß Pariser Klimaabkommen bis 2030 bewerkstelligt werden soll. Das Ziel ist ambitioniert: Die Emissionen müssen insgesamt um 36 Prozent reduziert werden.

Das Minus von 36 Prozent gilt auch für den mit Abstand größten Emittenten von THG, den Verkehrssektor. Pkw-Individualverkehr und Transportwirtschaft verursachen 45,4 Prozent der Emissionen in Österreich, in CO2-Äquivalente umgerechnet sind das minus 7,2 Millionen Tonnen Ausstoß (auf Basis der Emissionswerte des Jahres 2016), die reduziert werden müssen.

Das Verkehrsministerium hat zu diesem Zweck vom Umweltbundesamt (UBA) durchrechnen lassen, welche Maßnahmen wie wirken und wie viele Tonnen an CO2-Äquivalenten damit jeweils eingespart werden können.

Verkehrswende

Einige der im "Sachstandsbericht Mobilität" zusammengefassten 50 Einzelmaßnahmen für die angestrebte "Mobilitätswende 2030" könnten die Pläne von Verkehrsminister Norbert Hofer freilich gehörig durchkreuzen: allen voran die unter dem Punkt "Maßnahmen Personenverkehr" angeregte Absenkung der generellen Höchstgeschwindigkeit auf 100 km/h auf Autobahnen und Schnellstraßen für alle Pkws.

Ausgenommen wären lediglich "Zero Emission Vehicles", also Elektroautos. Sie dürften, würde das Tempolimit flächendeckend eingeführt, weiterhin 130 km/h fahren, sogar in IG-Luft-Tempolimitzonen, in denen bereits jetzt – abhängig von der Wetterlage – alle nur einen Hunderter fahren dürfen, um den Ausstoß gesundheitsschädlicher Abgase hintanzuhalten.

Billig und schnell

Das Potenzial einer Geschwindigkeitsdrosselung hinsichtlich der Intensität gibt das UBA als groß an, pro Jahr könnten 450.000 Tonnen Treibhausgas eingespart werden – ohne Vorarbeiten, ohne lange Vorlaufzeit.

Die Bevölkerung sieht das freilich nicht ganz so positiv, wie eine begleitend vom Meinungsforschungsinstitut GfK durchgeführte repräsentative Befragung ergibt: Die Mehrheit ist gegen ein allgemeines Tempolimit für Pkws, wobei 39 Prozent strikt dagegen sind und weitere 28 Prozent die Maßnahme ablehnen oder zumindest kritisch sehen. Nur acht Prozent sind voll dafür, dass das Bolzen eingebremst wird.

Was Verkehrsminister Hofer von der diametral zu seiner Offensive für Tempo 140 stehenden Maßnahme hält, war am Sonntag nicht in Erfahrung zu bringen. "Bei diesem Punkt war der Verkehrsminister nicht mehr im Saal", ätzt Volker Plass von der Programmleitung von Greenpeace. Er war bei der Präsentation des Sachstandsberichts am vergangenen Montag in Wien dabei. Der Bericht diene als Grundlage für Diskussionen zu den nationalen Energie- und Klimaplänen, heißt es in den Präsentationsunterlagen, die dem STANDARD vorliegen.

Flächenwidmung und Öffis

Viel bewegen ließe sich klimaschutztechnisch auch, würden Umwelt- und Klimapolitik in die Raumplanung einbezogen. Bekämen Einkaufszentren und Gewerbeparks auf der grünen Wiese keine Bewilligung mehr, würden Ortskerne verdichtet und Wege zu Einkauf und Arbeit verkürzt. Je nach Intensität in der Umsetzung beträgt das Einsparungspotenzial an THG in diesem Sektor – inklusive Ökologisierung der Pendlerpauschale, Anpassung der Grundsteuerbefreiung von Verkehrsflächen et cetera – zwischen 220.000 und 440.000 Tonnen. Sie werden von den Bürgern mehrheitlich positiv eingeschätzt – sofern gleichzeitig das Öffi-Angebot im ländlichen Raum massiv verdichtet und der Preis für Zeitkarten gesenkt wird. Im Güterverkehr hingegen wird abgesehen von alternativen Kraftstoffen überwiegend auf Lösungen "im EU-Kontext" verwiesen, die – sofern sie erzielt werden – kaum rasch umsetzbar sind.

Wie viel Hofer und Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) bereit sind, Richtung öffentlichen Nah- und Regionalverkehrs umzuschichten, können sie bald unter Beweis stellen: Die Verkehrsdienstverträge mit der ÖBB laufen aus, Zug- und Busverbindungen sind 2019 neu zu verhandeln. Es geht um ein Volumen von mindestens sechs Milliarden Euro für einen Zeitraum von zehn Jahren.

Dieselprivileg

Stichwort Fiskus: Nur indirekt, weil in Zuständigkeit des Finanzministeriums, kommt im Sachstandsbericht das Dieselprivileg vor, also die Steuerbegünstigung für Dieselkraftstoff. Sie bringt Österreich zwar jährlich eine Milliarde Euro an zusätzlichen Mineralölsteuereinnahmen, erhöht aber den hiesigen Treibstoffverbrauch um 25 Prozent und verschlechtert damit die THG-Bilanz massiv, sodass Österreich für die Verfehlung seiner Klimaziele regelmäßig Bußgeld (rund 500 Millionen Euro) zahlen muss. Eine Abschaffung der Dieselförderung (kostet 8,5 Cent pro Liter, in Summe jährlich 640 Millionen) würde MÖSt-Mehreinnahmen bringen, rechnet UBA-Experte Günther Lichtblau vor. Um den Tanktourismus des ausländischen Schwerverkehrs zu behindern, müsste Diesel um mehr als 15 bis 20 Cent teurer werden.

Einen Schub für emissionsfreie Elektromobilität (die THG-Emissionen fallen diesfalls bei den Energieerzeugern an) würden Erhöhungen von Normverbrauchsabgabe, der motorbezogenen Versicherungssteuer und der Mineralölsteuer bringen. Allerdings sind diese mit dem Dogma der Regierung, "Keine neuen Steuern", kaum vereinbar. (Luise Ungerboeck, 1.10.2018)

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Um Österreich auf Kurs zum Pariser Klimaabkommen zu bringen, könnte Tempo 140 geopfert werden, ehe die Erhöhung der Höchstgeschwindigkeit in Regelbetrieb geht.
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