Das "Pädagogikpaket" der Regierung bringt wieder Ziffernnoten ab dem Ende der zweiten Volksschulklasse, wer will kann schon vorher darauf beharren.

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Es geht mir nicht um bildungspolitischen Revanchismus oder ein zwangsweises Alles-muss-anders-Werden", sagte Bildungsminister Heinz Faßmann am Montag bei der Präsentation des "Pädagogikpakets", das der parteifreie Minister für die ÖVP in enger Absprache mit der FPÖ ausverhandelt hat, am Mittwoch dem Ministerrat vorlegen und dann in die Begutachtung schicken wird. Faßmann sprach von einem "bedeutenden Meilenstein" für das Schulsystem.

Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) erklärt im "ZIB 24"-Interview, dass von vielen Seiten der Wunsch nach Wiedereinführung der Noten in der Volksschule geäußert wurde.
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Was wird sich dadurch für die Volks- und Neuen Mittelschulen konkret ändern? Betroffen sind drei Schulformen, die Volksschule, die Neue Mittelschule (NMS) und die Polytechnische Schule.

VOLKSSCHULE

  • Ziffernnoten In den Volksschulen werden ab dem Schuljahr 2019/20 ab dem zweiten Semester der zweiten Klasse wieder verpflichtend Ziffernnoten eingeführt – gleichzeitig wird aber in allen Klassen zumindest zusätzlich alternativ beurteilt. Eltern, die schon vorher Ziffernnoten für ihre Kinder wollten, können darauf bestehen. Um eine für die Eltern "transparente, nachvollziehbare Leistungsbeurteilung" zu unterstützen, werden künftig dem Zeugnis "Bewertungsraster" beigelegt, aus denen hervorgeht, "was die Minimalerfordernisse sind und welches Wissen zu erreichen ist", erklärte Projektleiter Klemens Riegler-Picker aus dem Ministerium. Ein Beispiel: Eltern sehen dann, ob ihr Kind nur "Reime erkennen" oder "Reime erkennen und bilden" oder aber "Reimbasteleien und Sprachspiele durchführen" kann.
  • Sitzenbleiben Ab der zweiten Klasse können Kinder auch wieder sitzenbleiben – bisher konnten sie bis in die vierte Klasse aufsteigen und dann erstmals eine Klasse formell wiederholen.
  • Bewertungsgespräche Was bisher nur in Schulen mit alternativer Leistungsbeurteilung galt, gilt bald für alle: Die Eltern werden zu Gesprächen über Leistungsstand, Stärken oder Schwächen ihrer Kinder in die Schule vorgeladen.
  • Förderunterricht Wenn bei einem Kind Förderbedarf diagnostiziert wird, soll es künftig verpflichtend zum Förderunterricht erscheinen müssen. Allerdings: "Es gibt keine zusätzlichen Ressourcen."

MITTELSCHULE

  • Nicht mehr neu Aus der Neuen Mittelschule wird die Mittelschule, konkret eine "leistungsorientierte Schule". "Ein klein wenig" wolle man damit "auch das Image verbessern", sagte Faßmann, "weil Eltern oft das Gefühl haben: ,Ich muss mein Kind mit allen Mitteln in die AHS bringen.'" Ihnen soll mit der Mittelschule in Zukunft "eine starke, erfolgreich Schule" angeboten werden. Wobei ihm bewusst sei, sagte er mit Blick auf Wien, "dass man das großstädtische Problem lösen muss" – jedoch nicht mit dem "ritualhaften Ruf nach mehr Ressourcen". Der Minister betonte: "Ich glaube an diesen Schultyp. Er ist keine bildungspolitische Sackgasse." Immerhin kämen schon jetzt 40 Prozent der Maturantinnen und Maturanten aus der NMS.
  • Fünf statt sieben Noten Künftig wird es in Deutsch, Mathematik und Englisch nicht mehr die bisherige siebenteilige Bewertungsskala der NMS geben, sondern ab der sechsten Schulstufe (zweite Klasse) zwei unterschiedliche, überlappende Leistungsniveaus, nämlich "Standard" und "Standard AHS". Ein "Standard"-Einser entspricht einem "Standard AHS"-Dreier, ein Genügend hier einem Gut dort. Diese Noten sind für den anschließenden Umstieg in eine weiterführende Schule wichtig.
  • Zwei Leistungsniveaus Die Mittelschulen sollen ihre Schülerinnen und Schüler ab der sechsten Klasse in Deutsch, Mathematik und einer ersten lebenden Fremdsprache in "dauerhafte Gruppen" unterteilen können. Das bedeute aber nicht die Rückkehr zu den alten Leistungsgruppen oder dem früheren A- und B-Zug, wurde betont: "Man wird nicht einmal im Jahr zugeteilt und bleibt dann dort, sondern man kann während des Jahres wechseln", sagte Riegler-Picker.

POLYTECHNISCHE SCHULE

  • Freiwilliges zehntes Schuljahr Für Schülerinnen und Schüler, die nach der achten Stufe vielleicht die falsche Schulwahl getroffen haben und überfordert sind oder etwa durch lange Krankheit keinen Schulabschluss schaffen, wird es ab 2019 wieder die Möglichkeit eines freiwilligen zehnten Schuljahres an einer Polytechnischen Schule geben. Dadurch bekämen jährlich rund 400 Teenager "eine zweite Chance".

Während sich Pflichtschullehrergewerkschaftschef Paul Kimberger vorsichtig positiv äußerte, da das Paket "in die richtige Richtung" zu gehen scheine, man aber die Pädagogen nicht mit zu viel Bürokratie durch die zusätzlichen verbalen Beurteilungen belasten dürfe, zeigte sich die Vorarlberger ÖVP-Bildungslandesrätin Barbara Schöbi-Fink "nicht erfreut" über die verpflichtenden Noten ab der zweiten Volksschulklasse. Das tue ihr "leid", die verbale Beurteilung habe sehr gute Erfolge erzielt.

Rückschritt in die 50er-Jahre

Die Opposition reagierte einhellig negativ. SPÖ-Bildungssprecherin Sonja Hammerschmid, vorige Bildungsministerin, sprach von einem "massiven Rückschritt" durch Leistungs- und Notendruck, der "Stigmatisierung, Demotivation, Schulangst und Nachhilfe" bringen werde. Neos-Bildungssprecher Douglas Hoyos meinte: "Die 50er Jahre haben angerufen, sie wollen ihr Bildungssystem zurück." Stephanie Cox (Liste Pilz) kritisierte die Ziffernnoten ebenfalls als "großen Rückschritt", zumal Eltern, Kinder und Lehrer erst seit 2016/17 in den ersten drei Volksschuljahren selbst über die Art der Benotung entscheiden und dieser Versuch nicht einmal evaluiert worden sei.

Freude mit der "Wiedereinführung von Leistungsgruppen" hatte FPÖ-Bildungssprecher Wendelin Mölzer. Das seien "langjährige freiheitliche Forderungen". (Lisa Nimmervoll, 1.10.2018)