Ruth Beckermann beschäftigt sich in ihren Dokumentarfilmen mit jüdischer Identität und österreichischer Nachkriegsgeschichte.

Foto: Robert Newald

Als Kurt Waldheim 1986 für die ÖVP im Rennen um die österreichische Präsidentschaft war, gehörte Ruth Beckermann zu jenen Intellektuellen, die entschieden gegen seine Kandidatur auftraten. Waldheims beharrliche Weigerung, nach Enthüllungen auf seine Vergangenheit als SA-Mitglied einzugehen, war für sie untragbar.

Mit Waldheims Walzer kehrt die Filmemacherin noch einmal zu jener Affäre zurück, die dem Mythos von Österreich als erstem Opfer des Nationalsozialismus ein Ende bereitet hat. Beckermanns erste filmischen Aufnahmen treffen darin auf Archivmaterial aus dem In- und Ausland. Ihr Film zeichnet nicht nur nach, warum der Mann in Ungnade fiel, er analysiert auch die Dynamiken der medial erregt geführten Debatte über Geschichtsbilder.

Ein Tauchgang in die Vergangenheit ist der Film deshalb nicht. Die diskursiven Fronten und politischen Verzerrungen von damals bleiben bis heute virulent. Dass der Film nun zum heimischen Oscar-Kandidaten gekürt wurde, besitzt deshalb auch eine ironische Note. Im Interview erzählte uns Beckermann, dass Sie sich allerdings entschieden hat, sich darüber zu freuen.

STANDARD: Können Sie sich noch erinnern, warum Sie die Szenen auf der Anti-Waldheim-Demonstration am Stephansplatz gedreht haben?

Beckermann: Das kam daher, dass wir, die gegen Waldheim waren, medial nicht vorgekommen sind. Schon aus der Zeit der Arena-Bewegung gab es aber dieses Bewusstsein dafür, dass wir unsere eigenen Medien gründen müssen. Ich weiß gar nicht mehr, von wem ich die Kamera bekam. Ich drehte einfach, der Josef Aichholzer hat das Mikro gehalten. Es wurde nur im Profil und in der AZ kritisch über Waldheim geschrieben. Bei den Öffentlich-Rechtlichen, in der bürgerlichen Öffentlichkeit fand sich nichts. In der Recherche haben wir zum Beispiel kein einziges TV-Interview mit Hubertus Czernin gefunden.

Als Kurt Waldheim 1986 im Rennen um die Präsidentschaft war, trat Ruth Beckermann gegen seine Kandidatur auf. Im Film "Waldheims Walzer" blickt sie auf jene Tage zurück.
Foto: Ruth Beckermann Filmproduktion

STANDARD: Der Aufdecker Czernin wurde in der ganzen Zeit tatsächlich niemals interviewt?

Beckermann: Nein, der Mann, der Waldheims Wehrstammkarte gefunden hatte, wurde nie interviewt. Wir mussten dann eines von einem US-Sender verwenden.

STANDARD: Der Film leistet mit solchen Bildern ein Stück Medienarchäologie. Aber haben Sie damals schon daran gedacht, die eigenen Szenen zu verwenden?

Beckermann: Es gab kein Ansinnen, daraus einen Film zu machen. Man war damals nicht so ziel- oder zweckgebunden. Ich habe sie bis auf Ausschnitte im Film Die papierene Brücke nicht benützt. Zu drehen war einfach aufregend. Ich hatte zum ersten Mal im Leben eine Kamera in der Hand. Ich kann mich noch gut an dieses Gefühl erinnern, als wir zwischen diesen beiden Gruppen eingekeilt waren. Auf der einen Seite die Waldheim-Befürworter, auf der anderen unsere Gruppe, die mit den Transparenten aufmarschiert ist. Es ist dann sogar ziemlich hart geworden. Einer der Waldheim-Anhänger hat mir auch auf den Rekorder geschlagen.

STANDARD: Gab es einen bestimmten Auslöser, das Material gerade jetzt wieder zu sichten und zu Waldheim zurückzukehren?

Beckermann: Eigentlich nicht. Zuerst war es eher Abwehr, dann kam aber die Lust, sich eine Zeit, die man selbst erlebt hat und von der man ja immer nur einen Ausschnitt kennt, in einem größeren Kontext anzuschauen. Vor allem die Bilder in einem internationalen Kontext anzuschauen war sehr interessant. In Österreich gab es ja nur die österreichische Sicht, selbst in der TV-Dokumentation, die zu 30 Jahren Waldheim gemacht worden war.

STANDARD: Im Film sagen Sie, Sie hätten noch zwischen der Rolle der Dokumentaristin und jener der Aktivistin geschwankt.

Beckermann: Ich war vor allem Aktivistin. Eigentlich tut es mir heute leid, dass ich nicht öfter gedreht habe. Es gab unglaublich viele Treffen wie jenes im Landtmann, das im Film zu sehen ist. Wir nannten uns "Neues Österreich", das war noch vor dem Republikanischen Club. Ständig gab es Kundgebungen und Aktionen.

STANDARD: Wie ungewohnt war die Arbeit mit fremdem Material? Gab es Vorbilder für eine Collage aus Medienbildern, etwa Andrei Ujicas Film über Ceaușescu?

Beckermann: Der hatte natürlich das Glück, dass er wunderschönes Filmmaterial hatte! Ich fand es anfangs schon schwierig, dass ich mit diesem grindigen TV-Material der 80er-Jahre arbeiten muss. Auch wegen der Ästhetik hat es gedauert, Zugang zu diesem Material zu finden. Das amerikanische Material ist regelrecht zerbröselt. Dann gibt es aber irgendwann den Moment, an dem man denkt, dass gerade das gut daran ist. Wie bei einem Interview, bei dem ein Flugzeug vorbeifliegt, und du hasst diesen Moment. Und plötzlich erkennst du: Das ist die Welt, und das will ich zeigen.

In "Waldheims Walzer" treffen Beckermanns erst filmische Aufnahmen auf Archivmaterial aus dem In- und Ausland.
Foto: Ruth Beckermann Filmproduktion

STANDARD: Waldheim sprach immer von einer Medienkampagne. Besonders interessant ist dieses BBC-Interview im Film, bei dem er plötzlich starke Emotionen zeigt und darauf beharrt, dass es auf der eigenen Seite auch zahlreiche Opfer gab.

Beckermann: Ja, da regt er sich auf. Und zugleich ist es sehr österreichisch, alles mit solchen Floskeln zuzuschmieren. Die Briten haben Waldheim auch anders behandelt. Die österreichischen Journalisten sind vor ihm gekniet. Geändert hat sich das erst nach der Watchlist und der Wahl. Die richtig harten Interviews, wie von Peter Rabl und Hans Benedict, kamen erst 1988. Man konnte bei der Materialsichtung richtig gut erkennen, ab wann österreichische Journalisten begonnen haben, ausländische Zeitungen zu lesen. Waldheim wurde lange als armes Opfer der großen Medienmacht der Juden, der "Ostküste", verkauft. Das kommt leider als Bildzitat nicht vor, sonst hätte ich es im Film, aber geschrieben wurde das so.

STANDARD: Die Waldheim-Affäre hat dazu beigetragen, dass der Opfermythos nicht länger tragbar war. Was hat das Ihrer Meinung nach im rechten Lager bewirkt? Da agiert man ja weiter recht ungeniert.

Beckermann: Die Opferlüge war eine Mainstreamgeschichte. Die war sehr praktisch bei der Gründung der Zweiten Republik. Sie hat die ganze Welt betört, in Zusammenhang mit den schönen Landschaften in Österreich erschien das wie ein stimmiges Bild. Wir haben vor allem gegen dieses offizielle Österreich angekämpft. Die FPÖ hat diese Lüge nie vertreten. Es gibt ein Interview mit Haider, wo er sagt, wir hätten wie die Deutschen den Krieg verloren. Das rechte Lager hielt seit 1945 mehr oder weniger unbeirrt an seinem NS-Geschichtsbild fest und gab es an seine Kinder weiter. Erst jetzt kommt heraus, was in den Burschenschaften passiert.

STANDARD: Warum, glauben Sie, passiert das so spät?

Beckermann: Ich weiß nicht, was so gehemmt hat, ich hätte mir das längst erwartet. Martin Pollack hat schon früh darüber gesprochen. Die Nachkommen dieser Eliten der Nazizeit, die nachher genauso Eliten waren und ihre Kinder in diesem Sinn erzogen, haben lange gebraucht, um zu reden. Burgl Czeitschner hat heuer ihren Film gedreht, der Komponist Georg Friedrich Haas hat diese tolle Rede beim Steirischen Herbst gehalten. Ich habe auch Jenseits des Krieges aus der Frustration heraus gemacht, dass sich niemand anderer mit den Wehrmachtssoldaten auseinandersetzt. Ich hätte gern mehr von diesen Leuten erfahren, um zu verstehen, warum diese Ideologie so faszinierend war.

STANDARD: Verblüffend sind auch die rhetorischen Strategien, die man bei der Verteidigung von Waldheim anwendet: "Wir und die anderen", Tatsachen verleugnen, Kritiker zu Feinden stempeln. Haben Sie da auch gleich an die Gegenwart gedacht?

Beckermann: Natürlich hat man da alle diese Kampagnen im Kopf, die es auch schon vor dieser Regierung gab. "Daham statt Islam" und so weiter. Das war mir fast das Wichtigste: dass diese Mechanismen deutlich werden. Wie man eine Wahl gewinnen kann. Wie man aufhetzt, Gefühle in der Bevölkerung weckt. Wenn man in diesem Land aufwächst und einer Minderheit angehört, ist man von klein auf geschult darin, diese Sprechweisen zu durchschauen. Man muss nur vergleichen, wie heimische Politiker im Ausland sprechen und wie sie reden, wenn sie vom ORF interviewt werden – bei Waldheims Sohn haben wir das so im Film. Zu Hause ist er zynisch und macht den Jüdischen Weltkongress herunter. In Amerika ist seine Haltung ganz unterwürfig. Das haben sie alle so gemacht, ob rot oder schwarz. (Dominik Kamalzadeh, 2.10.2018)