Eigentum ist der ÖVP wichtig, sagt Johann Singer (li.); der SPÖ der Mietsektor, sagt Ruth Becher im Gespräch mit Eric Frey (DER STANDARD).

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Warum Eigentum im Regierungsprogramm betont wird und wie gleichzeitig das Mietrecht verbessert werden kann, diskutierten die Nationalratsabgeordneten Johann Singer (ÖVP) und Ruth Becher (SPÖ). Eric Frey moderierte.

STANDARD: "Wir müssen alles unternehmen, dass wieder vermehrt Wohnraum im Eigentum erworben werden kann", heißt es im Regierungsprogramm. Was gewinnen wir mit weniger Mietern?

Becher: Wir sollten mehr den Mietsektor stärken, denn in industrialisierten Ländern trägt das zu einer vermehrten Kaufkraft bei. Außerdem macht Mieten flexibler, 30 Jahre relativ hohe Kreditkosten bewirken das Gegenteil. Auch Eigentum hat seine Berechtigung, es hat stark emotionalen Charakter.

Singer: Ja, uns ist Eigentum wichtig, es sollte in zehn Jahren viel mehr Eigentümer geben. Der Zweck: Es ist Teil der Selbstständigkeit, der Altersvorsorge. Aber es sollte auch im Mietbereich ein Interessenausgleich stattfinden.

STANDARD: Ist Kaufen und Mieten ein Stadt-Land-Thema?

Singer: In Wien hat Mieten, auch im Vergleich zu anderen europäischen Städten, eine Dominanz. Auf dem Land gibt es viel mehr Eigentum, dessen Erwerb quer durch alle Schichten noch leichter ist.

STANDARD: Wäre es angesichts von Zersiedelung und Versiegelung fürs Gemeinwohl gut, den Wunsch auf Eigenheim zu schwächen?

Singer: Für mich stellt sich nicht die Frage, ob Mieten oder Kaufen besser ist, sondern, so wie es auch im Regierungsprogramm steht, vielmehr verstärkt auf bodenschonenden Wohnbau zu setzen. Das ist auch mein Standpunkt als Bürgermeister. Denn die Menschen auf dem Land wollen noch immer möglichst große Grundflächen haben und ihre Privatsphäre schützen.

Becher: Kommunen sollten dort Ansiedelung fördern, wo eine gute Verkehrsinfrastruktur schon vorhanden ist. Man kann ressourcenschonend mehrgeschoßig bauen, es muss ja kein Hochhaus sein.

STANDARD: Soll die Wohnbauförderung für die Förderung von Eigentum verwendet werden?

Singer: Sie sollte für die Schaffung von Wohnraum genutzt werden. Ich unterscheide hier nicht zwischen Miete und Eigentum.

Becher: Die Wohnbauförderung wird von allen Lohnsteuer zahlenden Menschen mitfinanziert, sie sollte daher vorrangig den Mietern zugutekommen.

STANDARD: In Wien überwiegt Miete, tolle Lagen im Eigentum sind sowieso nicht leistbar. Was soll bei den Mieten geschehen, damit sie leistbar sind?

Becher: Das Mietrecht muss man auf mehr Mietwohnungen ausdehnen. Denn der Preisschutz gilt nur für Wohnungen, die vor 1945 gebaut wurden. Unser Vorschlag: Wenn mehr Mietwohnungen gebaut werden, könnte man etwa, wenn sich nach 25 bis 30 Jahren alles refinanziert hat, einen Preisschutz einführen. Im Gegenzug könnte man sich bei bestehenden Grenzen bei Altbauwohnungen auch auf eine neue Form einigen, die auf die Qualität und die Ausstattung der Wohnung ausgerichtet ist.

Singer: Wenn eine entsprechende Anzahl von Wohnungen vorhanden ist, hat das Auswirkungen auf den Markt, der Preisdruck wird geringer. Der wichtigste Aspekt ist daher, dass Wohnraum zur Verfügung gestellt wird.

STANDARD: Wird im Moment zu wenig gebaut?

Becher: Von den absoluten Zahlen her liegen wir beim Wohnbau in Österreich gut.

Singer: Wir sind in der glücklichen Lage, dass in Österreich viel gebaut wird, aber es ist noch zu wenig, wie man sieht. Sanierungen, Nachverdichtungen, Dachgeschoßausbauten könnten durchaus noch eine Besserung der Situation schaffen.

STANDARD: Aber am Richtwertsystem wollen Sie auch rütteln.

Singer: Wir haben im Regierungsprogramm vereinbart, dass wir das Mietrecht neu aufsetzen möchten. Warum? Weil es sowohl für Mieter als auch Vermieter sehr kompliziert ist – mit Passagen, die den heutigen Anforderungen nicht mehr gerecht werden.

STANDARD: Was ist mit dem Vorschlag: Gleiches Mietrecht für alle mehrgeschoßigen Häuser, egal, wann sie gebaut wurden?

Singer: Grundsätzlich bin ich da sehr kritisch. Aber wir wollen einen offenen Prozess zulassen.

STANDARD: Befristungen betreffen auch junge Menschen, die auf Wohnungssuche am freien Markt sind. Wie kann man das Stadtnomadentum angehen?

Becher: Indem man das Mietrecht ändert und Befristungen einen anderen Stellenwert gibt. Eine befristete Wohnung müsste eine Ausnahmesituation sein. Wohnen ist ein Grundrecht. Wenn Menschen gezwungen sind, alle drei Jahre ihren Mietvertrag zu erneuern, möglicherweise unter neuen Bedingungen, was ja wahrscheinlich der Hintergrund ist, weiß jeder, was das bedeutet.

STANDARD: Das Abschlagssystem hat anscheinend nicht ausreichend funktioniert. Was tun?

Becher: Solange es das in der Form gibt, werden sich die Mieter nicht trauen, es zu bekämpfen, weil sie ja auf eine Verlängerung ihres Mietvertrags hoffen. Befristungen sollten einen sehr hohen Abschlag haben. Als sie in den 1990ern mit dem Richtwertsystem eingeführt wurden, war das für die Studenten gedacht. Dabei ist es nicht geblieben: Heute sind fast 75 Prozent der angebotenen Wohnungen am privaten Mietwohnungsmarkt befristet.

Singer: Befristungen sind ein Problem. Wir fördern langfristige Mietverträge und lassen kurzfristige in bestimmten Bereichen zu. Wie eine solche Förderung ausschauen soll, wird gerade verhandelt.

STANDARD: Ursache der Finanzkrise waren massive Verschuldungen amerikanischer Haushalte in Immobilien, teilweise auch in Europa. Gibt es in Österreich Anzeichen dafür?

Becher: Diese Länder haben sehr hohe Eigentumsraten. Die Menschen kauften Wohnungen mit Krediten, die nicht mehr bezahlbar waren. Bei uns sehe ich das zurzeit nicht, weil viele in Mietwohnungen oder im sozialen Wohnbau ohne Befristungen wohnen, wo die Mieten leistbar sind.

Singer: Ich sehe die Gefahr nicht, auch nicht mittelfristig. (Protokoll: Marietta Adenberger, 3.10.2018)