Engelmaier: "Ich war nie der große Star"

Foto: Fotos: Jakob Gsöllpointner

Inhalte des ballesterer Nr. 135 (Oktober 2018) – Seit 4. Oktober im Zeitschriftenhandel und digital im Austria-Kiosk

Schwerpunkt Vorwärts Steyr

AUFSTIEG, FALL UND RÜCKKEHR
Vorwärts Steyr hat überlebt

STEYRER ERINNERUNGEN I
Matura mit Blochin

STEYRER ERINNERUNGEN II

Eine kurze Affäre

Verein vom Fliessband

Die Industriegeschichte der Vorwärts

Außerdem im neuen ballesterer:

Außerhalb der KOMFORTZONE

Vincent Kompany über seinen Studienabschluss

DER KONGRESS ZÜNDELT
Die Pyrokonferenz im Innenministerium

UMSONST AUSWÄRTS
Die Wien-Reise der Wacker-Fans

DEMOGRAFISCHE SORGEN
Das nordirische Team ist im Wandel

DEUTSCHE GESCHICHTEN
Migration, Rassismus und der DFB

RAUM FÜR EXPERIMENTE
Ein Anstoß zur Nations League

KARRIEREHERBST IN BELGIEN
Hoffer und Okotie bei Beerschot Wilrijk

EIN PRÄSIDENT FÜR ALLE FÄLLE
Maradonas Engagement bei Dinamo Brest

LEINEN LOS
Unterwegs auf dem "Kicker-Dampfer"

LOST GROUND WHITE HART LANE
Die Heimat der Hähne

GROUNDHOPPING
Matchberichte aus Deutschland, Kambodscha, Polen und der Schweiz

Foto: ballesterer

Von 1987 bis 2000 spielte Thomas Engelmaier fast durchgehend für den SK Vorwärts Steyr. Den großen Durchbruch schaffte er allerdings nie, meistens war er Reservetormann. Immer wieder verweist Engelmaier im ballesterer-Gespräch darauf, dass erfolgreichere Mitspieler bessere Interviewpartner gewesen wären. "So gut war ich ja nie", sagt er. Doch im Verlauf des eineinhalbstündigen Interviews im Ortszentrum von Dietach bei Steyr wird klar, warum er als Vorwärts-Legende gilt. Immer wieder fällt der Satz: "Es war ja schon eine geile Zeit." Kurz vor sechs endet das Interview, Engelmaier muss zum Training, er betreut Union Dietach in der oberösterreichischen Landesliga. Tags darauf nimmt er sich noch einmal Zeit für einen Fototermin. Am Rande des Shootings trifft er zufällig Herrn Dorasch, den früheren Busfahrer der Vorwärts Mannschaft. "Mit ihm müsst ihr auch reden", sagt Engelmaier sofort.

ballesterer: Sie haben fast 13 Jahre bei Vorwärts Steyr gespielt. Wie sind Sie zum Verein gekommen?

Thomas Engelmaier: Ich bin aus Haidershofen in der Nähe von Steyr. Da hat man die Vorwärts schon gekannt, bevor sie in der Bundesliga war. Aber es war eigentlich nie mein Ziel, einmal dort zu spielen. In der Jugend hat mich die VÖEST nach Linz geholt, das hat aber nicht so gut funktioniert. Ich habe nebenbei in den Steyrer Werken gearbeitet – und zwar immer Frühschicht, weil ich am Abend ja trainieren müssen habe. Das war anstrengend, deswegen bin ich wieder zurückgegangen. Ein Jahr später, da war ich 17, hat mich die Vorwärts geholt.

ballesterer: Sie haben damals eine bewegte Zeit mitbekommen – von den Erfolgen in der Bundesliga bis zum Konkurs 2000. Überwiegen bei Ihnen die positiven oder die negativen Erinnerungen?

Engelmaier: Es war sicher nicht immer einfach, aber schon eine geile Zeit. Ich kann mich noch gut an mein erstes Bundesliga-Spiel erinnern, gegen Sankt Pölten. Damals hat der Mario Kempes dort im Sturm gespielt. Wir haben 0:3 verloren, aber er hat mir kein Tor geschossen. Und das Spiel in Frankfurt werde ich nie vergessen.

ballesterer: Meinen Sie den 2:1-Sieg im UI-Cup?

Engelmaier: Genau, die Eintracht hat damals eine Wahnsinnsmannschaft gehabt – mit dem Okocha, dem Ekström und dem Köpke im Tor. Wir haben dort 2:1 gewonnen. Im Achtelfinale gegen Strasbourg hätten wir als Gruppensieger eigentlich Heimrecht haben müssen, aber mit unseren nullkommanull Punkten im UEFA-Ranking hat es das nicht gespielt. Dann haben wir dort 0:4 verloren. Als Bub aus Haidershofen glaubst du nicht, dass du so etwas jemals erlebst.

ballesterer: Sie haben es ja auch wegen Ihres Aussehens zu Bekanntheit gebracht. Hat Sie das gestört?

Engelmaier: Es hat immer geheißen, dass ich körperlich nicht überragend beisammen bin. Das hat teilweise sicher gestimmt, aber auch nicht immer. Und für meine Haare kann ich nichts, die sind natur. Mich hat das also nie groß gestört.

ballesterer: Sie waren den Großteil Ihrer Laufbahn Reservetormann. Warum haben Sie sich nie als Einsergoalie etablieren können?

Engelmaier: Ich habe am Anfang meiner Karriere das Training sicher nicht ernst genug genommen. Da waren andere Dinge einfach interessanter. Wenn ich die Chance noch einmal bekommen würde, würde ich heute anders damit umgehen. Aber ich war auch nicht gerade vom Glück verfolgt. Ich kann mich noch gut an unser Trainingslager in Syrien erinnern. Dort habe ich eine super Vorbereitung gespielt und war in Topform. Aber Trainer Djuricic hat dann doch wieder den Hassler Christian aufgestellt. Später habe ich mein Leiberl an den Manninger Alex verloren, obwohl ich gut gespielt habe. Das hat natürlich auch einen Grund gehabt, seine Karriere spricht für sich. Bei mir hat der richtige Zeitpunkt einfach gefehlt.

ballesterer: Sie haben immer wieder mit Verletzungen gekämpft. Hat das auch eine Rolle gespielt?

Engelmaier: Ich habe mich vor allem immer zum blödesten Zeitpunkt verletzt. Am Anfang meiner Karriere habe ich mir beim Schifahren einmal den Brustwirbel gebrochen und dann ein halbes Jahr gefehlt. Etwas später, 1996, war ich gerade auf einem guten Weg, Stammgoalie zu werden, da habe ich mir in einer Cuppartie die Stirnhöhle gebrochen. Ich habe das Match zwar fertiggespielt, aber unmittelbar danach bin ich ins Spital gebracht worden und war dann einmal mit der Reha beschäftigt.

ballesterer: Wie hat das Mannschaftsgefüge bei der Vorwärts funktioniert? Es war ja eine Mischung aus soliden Bundesliga-Spielern und größeren Namen.

Engelmaier: Es hat schon Unterschiede gegeben, aber wir haben nie Probleme miteinander gehabt. Ich kann mich an keinen einzigen Trottel erinnern. Das war schon eine coole Truppe damals. Der Djuricin Gogo war ein bisschen ausgeflippter. Da war ich am Anfang schon etwas überrascht, wie der Hund auf einmal Rapid-Trainer geworden ist. Er war nicht unsympathisch, einfach ein bisschen anders. Wir Landbuben sind die Wiener einfach nicht so gewohnt. Es hat schon ein paar Spieler gegeben, die das Leben und ihren Status ein bisschen mehr genossen haben. Das bin ich einfach nicht. Ich habe mir nach den Spielen meistens ein paar Bier gekauft und bin heimgefahren.

ballesterer: Haben Sie in Steyr gelebt?

Engelmaier: Nein, ich habe in Haidershofen mein Haus gebaut. Ganz am Anfang habe ich einmal ein Jahr im Stadtteil Münichholz gewohnt, aber die Stadt ist nichts für mich. Ich bin kein Stadtkind, ich mag es gern gemütlich. Am Land werden deine Leistungen zwar auch beim Frühschoppen ausdiskutiert, dort bist du aber nicht jeden Tag mit irgendwelchen Leuten konfrontiert, die dich ansprechen und mit dir über Fußball reden wollen.

ballesterer: Wie haben Sie das Ende der Vorwärts erlebt?

Engelmaier: Wir sind im Jänner nach einem Vormittagstraining in die Kabinen gekommen, haben ganz normal geduscht und uns umgezogen – und dann hat es plötzlich geheißen: "Es ist aus." Das war ein Schock. Nicht nur für mich, sondern für die gesamte Region. Klar ist es damals schon bergab gegangen, die Vorwärts war nicht mehr das, was sie fünf Jahre davor war. Aber dass es dann so schnell geht und wir nicht einmal die Saison fertig spielen dürfen haben, war arg.

ballesterer: Was hat das für Sie bedeutet?

Engelmaier: Wir haben uns alle sehr schnell nach neuen Jobs umschauen müssen. Ich habe damals ein Angebot von Altach gehabt, aber da bin ich schon gar nicht mehr hingefahren, weil ich da schon das Haus in Haidershofen gehabt habe. Zuerst habe ich bei Oed/Zeillern gespielt und dann noch länger in Waidhofen in der Regionalliga. Gleichzeitig habe ich angefangen, Sportartikel zu verkaufen. Eine Traineraus bildung habe ich dann auch gemacht. Mit dem Profitum war es nach der Vorwärts aber vorbei.

ballesterer: Haben Sie davor schon etwas ansparen können?

Engelmaier: Ich war nie der große Star, die haben auch bei uns wesentlich besser verdient. Ich habe bei Weitem nicht ausgesorgt, aber ich habe damals problemlos davon leben können. Die Zeiten waren damals einfach andere. Der Hochedlinger Kurt hat immer nebenbei gearbeitet. Heute wäre es unvorstellbar, dass ein Bundesliga-Spieler nicht Vollzeitprofi ist.

ballesterer: Hat sich das Ende bei der Vorwärts angedeutet?

Engelmaier: Für mich zumindest nicht. Sicher ist das Gehalt nicht immer pünktlich gekommen, aber als Spieler hast du nicht genug Einblick. Als Komm und Kauf 1997 eingestiegen ist, haben wir zum Beispiel Schecks von ihnen bekommen – die waren nicht niedrig. Wir waren in der zweiten Division, haben viele Punkte gemacht, entsprechende Prämien kassiert und nicht zittern müssen, ob auch wirklich gezahlt wird. Das war relativ kurz vor dem Ende, aber für mich war das wie Weihnachten und Ostern zusammen.

ballesterer: War es manchmal auch anders?

Engelmaier: Ja, wir haben sehr oft auf unser Geld warten müssen. Es war quasi normal, dass der Lohn ein Monat zu spät kommt. Manchmal war es noch länger. Im Regelfall haben die Stars ihr Geld auch vor uns bekommen. Das war schon schwierig.

ballesterer: Hat das Ihr Verhältnis zum Vereinspräsidium beeinflusst?

Engelmaier: Dem Radelspäck Alois habe ich immer geglaubt, dass er alles dafür tut, ein Geld aufzustellen. Aber wenn der Dittrich Leo mit seinem Mercedes vorgefahren ist und auf großer Manager getan hat, während wir auf unser Geld gewartet haben, habe ich das als Provokation wahrgenommen. So ist es nicht nur mir gegangen, der Großteil der Mannschaft hat sich das gedacht.

ballesterer: Haben Sie mit Ihren ehemaligen Mannschaftskollegen noch Kontakt?

Engelmaier: Wir treffen uns hin und wieder zufällig – zum Beispiel bei Trainerfortbildungen. Den Madlener Daniel habe ich erst letztes Jahr bei einer gesehen. Dann reden wir über unsere Zeit damals, das ist schön. Dass wir uns etwas ausmachen, kommt aber nicht vor. Außer mir lebt ja kaum jemand im Raum Steyr.

ballesterer: Kommen wir zum Schluss zur Vorwärts von heute: Freut es Sie, dass der Verein jetzt wieder in der zweiten Liga spielt?

Engelmaier: Ja. Der Scheiblehner Gerald leistet eine sehr gute Arbeit. Er hat in den letzten Jahren immer die besten Spieler aus der Umgebung geholt. Dann hat seine Mannschaft den Aufstieg aus der Landesliga und dann fast unverändert aus der Regionalliga geschafft. Das spricht für ihn – und so etwas taugt mir.

ballesterer: Gehen Sie noch manchmal auf den Vorwärts-Platz?

Engelmaier: Nein. Seitdem ich dort aufgehört habe, war ich nur beim Spiel der Vorwärts gegen Haidershofen. Ich habe ja faktisch keinen Bezug mehr zu dem Verein. Die handelnden Personen waren ja alle weg. Was jetzt dort passiert, hat mit der Vorwärts von damals gar nichts zu tun. Geblieben sind nur die Fans.

ballesterer: Könnten Sie sich vorstellen, die Vorwärts einmal zu trainieren?

Engelmaier: Das war nie ein Thema, aber es wäre toll. Das gilt wahrscheinlich für jeden, der damals bei uns gespielt hat. Wenn du den Madlener Daniel fragst, setzt sich der wahrscheinlich noch heute auf sein Fahrrad und fährt aus Lustenau her. Die Vorwärts hat einen großen Namen, es sollte für jeden Trainer eine Ehre sein, hier arbeiten zu dürfen. Das sage ich nicht nur, weil ich aus der Gegend bin. (Moritz Ablinger & Mathias Gruber, 4.10.2018)