Der erste Akt an diesem Abend steht in keinem Textbuch. Er ist weder von Bernard-Marie Koltès und wohl auch nicht in seinem Sinne, und doch fügt er sich perfekt ein in die Struktur eines Stückes, das 30 Jahre nach seiner Entstehung nicht mehr dasselbe ist wie damals, als es vom französischen Schriftsteller in Guatemala geschrieben wurde. 1979 war das, und auch schon damals wurde das Wort "Neger" als Beleidigung verstanden. Heute aber ist es ein Schlag ins Gesicht.

Der erste Akt an diesem Abend besteht aus einem Grüppchen junger Frauen mit silbernen Augenmasken, das vom Balkon herab die Stimme ergreift: "Ignoranz" skandiert man: "Ignoranz. Das N-Wort ist rassistisch." Das geht ein paar Minuten so, schließlich werfen sie hunderte Flugblätter ins Parkett. "Das N-Wort ist nie einfach nur ein Wort" steht darauf.

Frisch aus der Latrine: Cal (Markus Meyer) und im Vordergrund Horn (Philipp Hauß) sind sich innig zugetan. Im Hintergrund Alboury (Ernest Allan Hausmann).
Foto: Georg Soulek / Burgtheater

Kolonialistische Machtstrukturen

Ist es auch nicht. Allerdings wurde es von Koltès auch schon vor 30 Jahren nicht so verwendet. Kampf des Negers und der Hunde beschrieb bereits in Vor-Political-Correctness-Zeiten kolonialistische Machtstrukturen, die auf einem sich naturalistisch gebenden Rassismus gründen. Auf einer exterritorialen Baustelle irgendwo in Afrika erschießt Cal, ein Franzose, einen der einheimischen Arbeiter und lässt dessen Leiche in einer Latrine verschwinden. Jetzt steht dessen Bruder Alboury in einer Patchwork-Jeans und freundlich lächelnd an der Bühnenrampe und verlangt die Herausgabe der Leiche. Womit wir beim zweiten Akt, also mitten drin im Stück von Bernard-Marie Koltès wären.

Der 1989 an den Folgen von Aids verstorbene Dramatiker wird heute nur mehr selten gespielt – und das, obwohl es in den 1980ern einen regelrechten Hype um seine Stücke gab. Ein Außenseiter, ein Homosexueller, der mit Vorliebe selbst Außenseiter auf die Bühne brachte. "Der einzige Antrieb, warum ich Stücke schreibe, liegt darin, dass Schwarze und Araber auf der Bühne stehen", sagte er einmal. Heute würde man ihm wohl auf die Schulter klopfen und etwas von Inklusion murmeln. Darum mag es diesem Stricher- und Mörder-Dramatiker wohl auch gegangen sein, aber in mindestens gleichem Maße liegt ihm auch ein libidinöses Motiv zugrunde: die Faszination für das romantisch verbrämte Fremde, die Erotik des dunkelhäutigen Mannes.

Ein aufklärerisches Stück?

Von all dem erzählt auch Kampf des Negers und der Hunde, das dieser Tage gerne als aufklärerisches Stück dargestellt wird, dessen Sprache aber auch vom Gegenteil erzählt. Die Wortgefechte zwischen Cal, seinem Baustellenleiter Horn, dessen aus Paris gerade eingeflogener Geliebter Leone und Alboury werden nämlich weniger mit spitzen Hieben als mit blumigen Kaskaden ausgetragen. Was hier gesagt wird, das kennt man von Stammtischen. Doch wie sie es tun, das stammt aus dem Poesieseminar.

Im Wiener Akademietheater fand am Dienstag die Premiere von Bernard-Marie Koltes "Kampf des Negers und der Hunde", das sich kritisch mit dem kolonialen Erbe seines Heimatlandes Frankreich in Westafrika auseinandersetzt, statt.
ORF

Womit wir beim zentralen Problem des gerade einmal 90-minütigen Abends wären. Am Akademietheater hat man Koltès' fiebrige Textblöcke radikal gestrafft, von ganzen Absätzen bleibt gerade einmal ein kurzer Hauptsatz übrig. Aus dem Poeten der existenziellen Entwurzelung möchte man einen Schriftsteller machen, dessen Sätze ins Schwarze treffen und nicht um es mäandern. Folgerichtig hat Regisseur Milos Lolic das Ganze als eine Art Stellprobe angelegt. Warum, darüber kann man nur rätseln. Weil man diesem heute schwierigen, aus der Zeit gefallenen Text misstraut? Dafür gibt es einige Gründe. Oder weil man so wenig mit ihm anzufangen wusste? Dann hätte man es einfach bleiben lassen sollen.

Auf der nackten, gerade einmal von einem Rot-Ton beleuchteten Bühne stehen von Anfang an alle vier Protagonisten. Im Hipster-Tropenlook die beiden Baustellenarbeiter, in einem glitzernden Cocktailkleid die eingeflogene Geliebte. Alle drei haben sich eine durchsichtige Latexhaut über ihren Körper gezogen, als zweite Haut gewissermaßen, die man nach Belieben abstreifen kann. Dem Einheimischen Alboury (Ernest Allan Hausmann) ist das nicht vergönnt, seine schwarze Hautfarbe und all die Projektionen und Klischees, die damit verbunden werden, sind ein Teil von ihm.

Viele Zuschreibungen

Es sind an diesem Abend viele Zuschreibungen, die Alboury über sich ergehen lassen muss. Wie ein Sturzbach brechen die Injurien aus dem Cal des Markus Meyer heraus, während sich Philipp Hauß den Whiskey über die Birne kippt. Die beiden könnten auch zwei auf Abwege geratene Backpacker sein, wäre da nicht der rothaarige Marilyn-Monroe-Verschnitt der Stefanie Dvorak, ein naives Blumenkind, das das Männergefüge durcheinanderbringt. Die Inszenierung erzeugt eine gewisse Dynamik, die Männer verkeilen sich regelrecht ineinander, während die Frau ihren Afrika-Sehnsüchten hinterherfantasiert.

Gewichtiger ist aber die Ratlosigkeit, die sich über den Abend legt. Eine Armada von immer größeren Drohnen schwirrt über die Szenerie. Was es mit ihnen auf sich hat, darüber kann man nur rätseln. Auch darüber, warum man das Stück gibt. Es würden einem Gründe einfallen. In den 30 Jahren seit der Entstehung des Stücks hat der Postkolonialismus-Diskurs einen anderen Zugang zu dem vermeintlich Fremden erzeugt. Die Protestierenden in Akt 1 sind ein beredtes Zeugnis davon. Darüber kann man in Akt 2 nicht einfach hinweggehen. (Stephan Hilpold, 4.10.2018)