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Aus Europa Abgeschobene nach ihrer Ankunft am Flughafen von Kabul, wo die Lebensbedingungen laut Karl Mahringers Gutachten gut genug sind.

foto: reuters/sobhani

Wien – Seine Expertise zu Afghanistan steht seit eineinhalb Jahren schwer in der Kritik, denn er bezeichnet die Lebensumstände in dem von Anschlägen gebeutelten Land als "sehr gut" bis "befriedigend"; Abschiebungen dorthin lässt das voll akzeptabel erscheinen.

Seit acht Monaten läuft ein Überprüfungsverfahren gegen ihn, Ende Juli 2018 wurde er seiner Funktion als gerichtlich beeideter Gutachter in Asyl-Berufungsverfahren enthoben.

Nicht gelöscht

Trotzdem, der 64 Jahre alte Geschäftsmann Karl Mahringer ist als Sachverständiger "für Allgemeine Länderkunde, insbesondere Menschenrechte" in Afghanistan, Syrien und dem Irak weiter in Amt und Würden. Sein Eintrag auf der vom Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen geführten Liste gerichtlich zertifizierter Sachverständiger wurde nicht gelöscht. Weil Mahringers Enthebung nicht rechtskräftig ist.

Bis zu sechs Monate werde das Verfahren noch dauern, bis dahin bestehe aufschiebende Wirkung gegen Mahringers Enthebung, sagte dessen Anwältin Diana Anna Ryszewska dem STANDARD. So lange könne sich das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) Zeit lassen, um über Mahringers Beschwerde zu urteilen.

Anwältin setzt auf Zeit

Besagten Einspruch will Ryszewska kommende Woche einbringen, "vor Ablauf der diesbezüglichen Frist". Überhaupt setzt sie auf Zeit. Am Ende eines BVwG-Verfahrens könne man immer noch den Verwaltungsgerichtshof anrufen, betont sie.

Ist somit denkbar, dass Mahringers in Zweifel geratenen Afghanistanbefunde in Asylverfahren noch jahrelang verwendet werden können? Durchaus, antwortet die Neos-Nationalratsabgeordnete und Menschenrechtssprecherin Stephanie Krisper auf diese Frage.

Mahringer for ever?

Die Expertisen könnten sogar in dem Fall weiter herangezogen werden, dass der Geschäftsmann von der Gutachterliste endgültig gestrichen werde. "Asylrichter sind in der Wahl ihrer Informationsquellen frei", weiß sie.

Beim BVwG dürften manche dieser Richter Mahringers Expertise den vielen anderen, auch internationalen Quellen zur Lage in Afghanistan vorziehen. Am 11. Jänner 2018 – zu einem Zeitpunkt, als das erste Afghanistangutachten bereits in Zweifel gezogen wurde, aber das Enthebungsverfahren noch nicht begonnen hatte – beauftragte ein Richter der Asylkammer des BVwG den Geschäftsmann von Neuem.

Zweites Gutachten

Dieser machte sich an die Arbeit und lieferte am 30. August 2018 seine zweite Afghanistanexpertise ab (sie liegt dem STANDARD vor). Das Papier folgt in Struktur und Methode dem früheren Dokument, ist aber beträchtlich kürzer: 34 statt 96 Seiten, da sie, im Unterschied zur ersten Studie, nicht durch eine Vielzahl von Fotos aus dem afghanischen Alltag aufgelockert wird.

Dem "Auftrag des Gerichtes" folgend liefert Mahringer in dem neuen Gutachten Antworten auf Fragen zur "allgemeinen Versorgungslage" in afghanischen Städten; den in der ersten Studie begutachteten Städten Kabul, Mazar-e Sharif und Herat fügte er Jalalabad bei.

"Rückkehr nach Afghanistan möglich"

In diesen vier Städten bestehe "Lebensmittelsicherheit", die medizinische Versorgung sei "ausreichend", schreibt er. Eine Wohnung finde man "in der Regel in ein bis vier Wochen", auch Jobs für Rückkehrer gebe es genug – zu "afghanischen Konditionen". Seine Schlussfolgerung: "Eine Rückkehr von alleinstehenden, volljährigen, männlichen afghanischen Staatsangehörigen ist zur Zeit möglich". In den seit mehreren Wochen neuen Richtlinien des UN-Flüchtlingshochkommissariats UNHCR zur Lage in Afghanistan, die auf die dortige Sicherheitslage fokussieren, wird der gegenteilige Schluss gezogen.

Neu sind Betrachtungen zur "Rückkehrsituation von Afghanen, die im Iran oder in Pakistan geboren wurden". Unter den aus Österreich abzuschiebenden Afghanen gibt es deren recht viele. Einwände gegen deren Rückkehr bestünden nicht, schreibt Mahringer.

Anders sieht er das bei alleinstehenden Minderjährigen beiderlei Geschlechts. Deren Abschiebung nach Afghanistan sei wegen fehlender Betreuungseinrichtungen "nicht möglich".

Neos-Krisper will Taten sehen

Mit dem zweiten Mahringergutachten will sich Neos-Mandatarin nicht so einfach abfinden. Wie sei es möglich, dass es trotz zwischenzeitlicher Enthebung des Verfassers als Gutachter zur Fertigstellung dieser Expertise gekommen sei? – fragt sie in einer dem Standard vorliegenden parlamentarischen Anfrage ans Justizministerium.

Auch sei inakzeptabel, dass Mahringers Gutachten weiter von BVwG-Richtern verwendet werden können. Werde das Ministerium die Richter von der erstinstanzlichen Enthebung informieren, sei es "durch einen Vermerk auf der Sachverständigenliste" oder "die offizielle Empfehlung, Mahringer vorerst nicht als Sachverständigen zu beauftragen"? – fragt Krisper. Wenn nicht, bestehe "ein massives rechtsstaatliches Risiko". (Irene Brickner, 08.10.2018)