Bevor sich der langjährige SPÖ-Berater Josef "Joe" Kalina für den STANDARD Zeit nimmt, will er am Sonntag den Livestream vom Wiener Kahlenberg mitverfolgen, wo das SPÖ-Präsidium unter Pamela Rendi-Wagner die jüngste Krise managen musste. Nach dem kompletten Rückzug von Christian Kern, auch als Spitzenkandidat für die EU-Wahl, zieht für die Roten nun Andreas Schieder in die Wahlschlacht. Kalinas Befund: "Das war heute für Pamela Rendi-Wagner schon business as usual."

"Rund um das Projekt Kern wäre wesentlich mehr drinnen gewesen", meint Kalina.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Beraten Sie aktuell jemanden in der SPÖ – oder schweigt man darüber besser, selbst wenn es so wäre?

Kalina: Nein, die SPÖ berate ich schon seit Jahren nicht mehr – und deswegen brauche ich auch nicht zu schweigen.

STANDARD: Angesichts des schrittweisen Rückzugs von Christian Kern zuerst als SPÖ-Chef, dann auch als EU-Spitzenkandidat: Was sagt der Polit-PR-Spezialist zu diesem Abgang?

Kalina: Fest steht: Bei besserer Planung und bei einem besseren Beratungsteam wäre rund um das Projekt Kern wesentlich mehr drinnen gewesen – und natürlich wäre damit auch ein geordneterer Rückzug möglich gewesen.

STANDARD: In der SPÖ drückt man sich weniger freundlich aus: Dort wird gemunkelt, Kern sei stets unberechenbar gewesen, hätte keinerlei Nehmerqualitäten gehabt, stattdessen eine allzu dünne Haut. Teilen Sie diesen Eindruck?

Kalina: Mein Eindruck ist, dass bei Kern oft zu viel Emotion im Spiel war und zu wenig rationale Planung. Zwar ist es gut, wenn ein Politiker gelegentlich Emotionen zeigt – doch für seinen Erfolg ist es dennoch wichtig, dass er sich stets an ein Planungskorsett hält. Zum Schluss hat man bei Kern auch gesehen, dass da die Nerven blank liegen – und damit die persönlichen Emotionen überwiegen.

Christian Kern bei seinem Abschied aus der Politik am Samstag: Als SPÖ-Vorsitzender habe man "nicht alles in der Hand", klagte er.
Foto: Christian Fischer

STANDARD: Kern selbst klagte auch über innerparteiliche Querschüsse. Ist die SPÖ ein Intrigantenstadl?

Kalina: Nicht mehr als jede andere Partei, denn es gibt überall regionale und inhaltliche Interessengruppen. Deshalb kann man das Führen einer Partei nie mit dem Führen eines Unternehmens gleichsetzen. Grundsätzlich gilt in der Politik, dass jeder Mitarbeiter auch das Recht hat, seine Meinung zu artikulieren. Die Kunst eines Parteichefs ist, die verschiedenen Interessenlagen zu bündeln – und auf ein gemeinsames Ziel hin zu fokussieren. Im Gegensatz zur ÖVP, zur FPÖ, zu den Grünen hat die SPÖ in der Vergangenheit kaum Befindlichkeiten nach außen getragen. Daher hielte ich es nicht für vernünftig, wenn man nun beginnt, das Innerste nach außen zu stülpen.

STANDARD: Sollte sich die neu geführte SPÖ hier also besser etwas von den Regierungsparteien abschauen, von denen seit Amts antritt kaum ein kritisches Wort nach außen dringt?

Kalina: Der größte strategische Vorteil von ÖVP und FPÖ ist tatsächlich, dass keinerlei Streitereien nach außen dringen. Das zeigen auch die Umfragen: Bisher gab es nur einen minimalen Rückgang für die Freiheitlichen und ein minimales Plus für die Volkspartei.

STANDARD: Für den EU-Wahlkampf wollte Kern zuletzt ein Bündnis mit Liberalen und Grünen gegen den Vormarsch der extremen Rechten in Europa schmieden. Aus Ihrer Sicht ein völliger Mumpitz, oder hätte das sehr wohl Sinn gemacht?

Kalina: Zweifellos braucht es beim Antreten zu einer Wahl ein Alleinstellungsmerkmal – und da hätte ein Bündnis aus sozialdemokratischen Positionen bis hin zu wirtschaftsliberalen Ansichten keinerlei Sinn gemacht. Die Haltung vieler SPÖ-Wähler ist ja sehr skeptisch gegenüber den Liberalisierungstendenzen in der Union, genauso wie gegenüber dem Zwölfstundentag. Natürlich kann man nach geschlagener Wahl Allianzen im EU-Parlament schließen – aber davor hätte das die eigenen Positionen verwässert.

STANDARD: Ist Andreas Schieder der richtige Mann für den roten EU-Wahlkampf, nachdem er in der Abstimmung zum Wiener Bürgermeister unterlegen ist und auf Wunsch der designierten SPÖ-Vorsitzenden Pamela Rendi-Wagner als geschäftsführender Klubobmann abgedankt hat?

Kalina: Ich finde schon, denn Andi Schieder hat seit seiner Jugend gute internationale Kontakte. Mir hat es wehgetan, dass er sich für die Abstimmung zum Wiener Bürgermeister instrumentalieren hat lassen. In seiner jetzigen Rolle ist er bestens aufgehoben, und er bringt das Zeug mit, das auch andere österreichische EU-Größen wie Hannes Swoboda, Othmar Karas, Johannes Hahn und Franz Fischler haben.

STANDARD: In den ersten Tagen der designierten SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner gab es für sie Belehrungen von Wiens Bürgermeister Michael Ludwig – hat man da aus Ihrer Sicht schon dazugelernt?

Kalina: Ich finde den Hinweis, dass auch große Kaliber unter den Parteichefs mit viel politischer Erfahrung auf einen geschäftsführenden Klubobmann gesetzt haben, bis heute legitim. Denn die komplexen, zeitintensiven Abläufe im Parlament sind nicht zu unterschätzen – und der geschäftsführende Klubchef kann einem da viel abnehmen. Außerdem kann man auch einen Klub nicht auf Knopfdruck steuern, da gilt es oft hineinzuhören und Überzeugungsarbeit zu leisten.

STANDARD: Und wie lautet Ihr Befund zu Rendi-Wagners Auftritt am Kahlenberg nach der jüngsten Aufregung?

Kalina: Ich denke, das war heute für sie schon business as usual. Die Entscheidung für Schieder ist einstimmig gefallen, offensichtlich sehr schnell gefallen. Das ist ein Zeichen dafür, dass sie in ihrer Position schon angekommen ist. (Nina Weißensteiner, 8.10.2018)