Parteichefin Pamela Rendi-Wagner will keinen Zeitdruck für die Parteireform. Kritiker werfen ihr ein Übergehen der Mitglieder vor. Geschäftsführer Thomas Drozda versucht via "Parteipost" zu beruhigen.

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Wien – Innerhalb der SPÖ regt sich Kritik an der bei einer Präsidiumsklausur am Sonntag beschlossenen Verschiebung der Organisationsreform. Ursprünglich sollten die Pläne zur Öffnung der Partei und zur Stärkung der Mitgliedermitbestimmung auf dem Parteitag Ende November abgesegnet werden, nun soll die Reform auf Druck der Wiener SPÖ überarbeitet und erst auf dem nächsten Parteitag in zwei Jahren umgesetzt werden.

Die erste Kritik an diesem Vorgehen, das still und heimlich über die Bühne ging und bei einer anschließenden Presseerklärung von SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner und Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda auch nicht zur Sprache kam, gab es aus der Wiener Sektion 8. "Nichts wurde in der SPÖ so lange und breit diskutiert wie Organisationsreformen. Es gibt keinen inhaltlichen oder organisatorischen Grund, diesen Minimalkompromiss zu kübeln. Es gibt nur einen machtpolitischen, und, mit Verlaub, den haben wir satt", erklärte die notorisch kritische SPÖ-Sektion via Twitter.

Die Sektion 8 wagt sich wie gewohnt aus der Deckung und hält mit Kritik an der Partei nicht hinterm Berg.

Die Reform sei ein Kompromiss gewesen, den der bisherige Bundesgeschäftsführer Max Lercher nach viel Einsatz allen Beteiligten abgerungen habe. Der Vorschlag habe durchaus Luft nach oben, allerdings sei die Forderung nach einer Urabstimmung von Koalitionsverträgen bahnbrechend. "Quasi eine Versicherung gegen den Gusenbauer-Effekt 2007." Dem damaligen SPÖ-Chef und Bundeskanzler war vorgeworfen worden, bei den Koalitionsverhandlungen von der ÖVP über den Tisch gezogen worden zu sein.

Die "Amtszeit-Klausel", gegen die sich vor allem der Wiener SPÖ-Chef Michael Ludwig wehrt, wird laut Sektion 8 nur "symbolischen Effekt" haben. 66 Prozent seien ja keine echte Hürde, wenn es, wie in der SPÖ üblich, nur einen Kandidaten für eine Position gibt. "Es geht also um etwas Prinzipielles. Nichts soll sich ändern. Niemand soll sich ändern müssen. Niemand will Macht abgeben, am wenigsten an die Mitglieder", so die kritischen Genossen.

"Geschlossene Türen" vs. "blinde Loyalität"

Die SPÖ operiere 2018 mit einer 130 Jahre alten Struktur. "Personaldiskussionen fallen hinter verschlossenen Türen, völlig unnachvollziehbar und mitunter ohne irgendeine erkennbare Strategie. Die, die hinter geschlossenen Türen entscheiden, verlangen aber blinde Loyalität von allen anderen. Vor allem von den Mitgliedern, die Beiträge zahlen, Hausbesuche machen und Überzeugungsarbeit leisten. So geht das nicht mehr. Wir fordern, die SPÖ vom Kopf auf die Füße zu stellen. KandidatInnenlisten, Parteivorsitzende und Vorstandsmitglieder müssen sich einem Votum der Mitglieder stellen. Wir fordern ein Ende der Einheitslisten. Wir fordern noch vieles mehr." Kritisch merkt die Sektion 8 auch an, dass das Ergebnis der Mitgliederbefragung "als bedeutungslos" beiseitegeschoben werde.

Widerstand aus Oberösterreich

Für Oberösterreichs SPÖ-Geschäftsführerin Bettina Stadlbauer ist die Organisationsreform jedenfalls nicht abgesagt. Vielmehr werde es am 18. Oktober im Bundesparteivorstand eine "Feinjustierung" der Reform geben. Da werde entschieden, welche Teile der Reform bereits beim Parteitag Ende November und welche erst in zwei Jahren beschlossen werden. Richtschnur müsse jedenfalls die "Mitgliederbefragung" sein.

Die SPÖ hatte von 70 Prozent der rund 38.000 Umfrage-Teilnehmer grünes Licht für die Partei- und Organisationsreform erhalten. Dieses Votum müsse oberste Prämisse sein, sagte Stadlbauer. Es sei "wesentlich" und könne nicht "völlig umgestoßen" werden.

Ob tausende Parteimitglieder denn gar nichts mehr zählen würden, fragt ein Roter auf Twitter.

Der Vorsitzende einer oberösterreichischen SPÖ-Sektion meldete sich am Montag zudem via Twitter an die Parteispitze. "Zählen tausende Parteimitglieder gar nix mehr?", fragte er.

Auch der Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler meldete sich kritisch zu Wort – und stellte in den Raum, dass es auf dem Parteitag Widerstand geben werde.

SPÖ-Jugend sieht Vertrauen gefährdet

Die SPÖ-Jugendorganisationen üben in einem Schreiben an den SPÖ-Bundesparteivorstand heftige Kritik an der Verschiebung der geplanten Parteireform und kündigen Widerstand in den SPÖ-Gremien an. Das Vertrauen der Mitglieder dürfe nicht aufs Spiel gesetzt werden. "Nach 6 Jahren ist es nun an der Zeit, die Reformen endlich zu beschließen", so die jungen Roten in einem der APA vorliegenden Schreiben.

Alle vier Fragen zur Organisationsreform wurden mit Ja beantwortet. Das seien deutlich über 20 Prozent der SPÖ-Mitglieder, daran könne man nicht vorbeigehen. "Diese vier Punkte sind somit in Stein gemeißelt und dürfen nicht mehr zur Diskussion stehen. Die Mitglieder der SPÖ sind ihr Rückgrat, und dieses Rückgrat darf nicht gebrochen werden. Wer seine Mitglieder befragt, nur um deren Meinung dann zu ignorieren, schwächt seine eigene Glaubwürdigkeit."

"Die Mitglieder der SPÖ sind unser größter Trumpf. Sie brennen und laufen für die Werte der SPÖ und verteidigen und werben für sie an jedem Stammtisch und bei jedem Treffen mit Freunden oder Familie. Ihre Meinung muss in unserer Partei endlich zählen." Im Parteivorstand wollen sich die Jugendorganisationen deshalb für ein Ja zur Organisationsreform einsetzen. Es sei Aufgabe des Bundesparteivorstands, die Basis der SPÖ zu vertreten.

Unterzeichnet wurde das Schreiben von der Vorsitzenden der Sozialistischen Jugend, Julia Herr, der Vorsitzenden der SPÖ-Studentenorganisation VSStÖ Katharina Embacher, Junge Generation-Chefin Claudia O'Brien, Bettina Rehner von den Roten Falken und Mario Drapela von der roten Gewerkschaftsjugend in der FSG.

Drozda will Reform "ohne Zeitdruck"

Parteichefin Rendi-Wagner versuchte zu beruhigen: Die Reform sei nicht abgeblasen, sie werde nur verschoben. Weitere Stellungnahmen überließ sie ihrem Bundesgeschäftsführer Drozda. Der verteidigte am Montag die Verschiebung via "Parteipost" an die Mitglieder. "Die Parteiorganisationsreform wird nicht mit einem Wurf vollendet sein. Wir werden sie weiter fortsetzen – allerdings ohne Zeitdruck. Selbstverständlich ist dabei das Ergebnis unserer Mitgliederbefragung Richtschnur unserer Entscheidung", schrieb Drozda.

Mit der geplanten Festschreibung von Gastmitgliedschaften und Themensektionen werde der Parteitag im November auch ein klares Zeichen der Öffnung der SPÖ setzen. Weitere wichtige Schritte der Öffnung und Mitbestimmung würden folgen. Den Parteitag solle man den Themen Parteiprogramm und EU-Wahl widmen. "Ein gutes und bundeseinheitliches Ergebnis, das von allen mitgetragen wird, ist für uns dabei entscheidend. So bringen wir die notwendige Kraft auf, die wir für die tagtägliche politische Auseinandersetzung brauchen", erklärte Drozda.

Kaiser und Schickhofer kalmieren

Der Kärntner SPÖ-Vorsitzende Peter Kaiser kalmierte am Montag. Er könne die Aufregung nicht nachvollziehen, sagte er nach der Sitzung der Landesregierung: "Wichtig ist es jetzt einmal, das Inhaltliche in den Mittelpunkt zu stellen."

Das Programm auf dem Parteitag im November sei bereits ohne die Organisationsreform dicht genug – immerhin stünden ja die Wahl der neuen Parteivorsitzenden und Beschlüsse im Vorfeld der EU-Wahl an. "Es gibt aber auch ganz pragmatische Gründe", so Kaiser. "Einerseits soll es am Parteitag eigene Anträge geben, die auch in die Organisationsreform hineinspielen. Und außerdem hat auch die neue Parteivorsitzende dann die Möglichkeit, ihre Vorstellungen einzubringen." Die Sache solle dann "in Ruhe und Ordnung" über die Bühne gebracht werden.

Für den steirischen SPÖ-Chef Michael Schickhofer ist die Verschiebung eine "legitime Entscheidung" der neuen Vorsitzenden. Als Landespartei wolle man aber an der eigenen Öffnung festhalten. Man sieht sich als Vorreiter und "modernste Partei", wenn das andere noch nicht umsetzen, sei das zu akzeptieren und kein "Rückschritt". Am Modell der Gastmitglieder werde man auch auf Bundesebene festhalten. Diese Mitgliedschaft auf Probe habe sich bewährt, denn zwei Drittel der Gastmitglieder würden danach zu Vollmitgliedern werden. Erklärungsbedarf gegenüber den steirischen Mitgliedern, weshalb nun auf Bundesebene erst in zwei Jahren über die Reform entschieden wird, sieht man im Büro Schickhofer nicht: "Die steirischen Mitglieder wissen über den Kurs der Öffnung Bescheid, da gibt es nichts zu erklären."

Auch übrige Länderchefs pro Verschieben

Niederösterreichs SPÖ-Vorsitzender Franz Schnabl sieht die Verschiebung ebenfalls positiv. Eine "Husch-pfusch-Aktion" werde dadurch vermieden. Es bestehe in einigen Punkten noch Diskussionsbedarf, zudem könne bei einer Umsetzung in zwei Jahren Rendi-Wagner eigene Schwerpunkte setzen.

Für Salzburgs SPÖ-Chef Walter Steidl ist die Verschiebung "nicht so dramatisch". "Die Reform wurde ja nicht abgesagt, und erste Teile werden wahrscheinlich beim kommenden Parteitag schon beschlossen." Der erste Schritt einer Öffnung der Partei sei ohnedies schon mit der Kür Rendi-Wagners zur Vorsitzenden gelungen. "Eine Frau an der Spitze wäre vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen." Außerdem seien die Statuten eine rein innerparteiliche Angelegenheit, und "das interessiert die Menschen am allerwenigsten".

Tirols SPÖ-Chefin Elisabeth Blanik hält eine neuerliche Diskussion über die Organisationsreform für "legitim". Dass man mit der Absage jene 38.000 Parteimitglieder vor den Kopf stößt, die bei einer Befragung den Reformen mit über 70 Prozent zugestimmt haben, sieht sie nicht als Gefahr. "Man schwächt mit der neuerlichen Diskussion jetzt ja nicht die 38.000 ab, sondern nimmt auch jene mit, die noch Bedenken haben", sagte die Osttirolerin. Trotzdem werde es nach der Diskussion bei der Präsidiumsklausur am Sonntag auch noch eine Diskussion im Bundesparteivorstand geben müssen.

Für den Vorarlberger SPÖ-Vorsitzenden Martin Staudinger ist es klar, dass die Statutenreform noch einmal besprochen wird, zumal sich in den vergangenen Tagen personell viel in der Partei geändert habe. Staudinger erklärte die Verschiebung auch mit zeitlichen Problemen. Für den kommenden Parteitag habe die SPÖ die Wahl der neuen Vorsitzenden und den Beschluss der EU-Liste in den Mittelpunkt gestellt. Die Organisationsreform an den beiden Tagen ausreichend zu besprechen sei zeitlich kaum möglich. Das und der Wunsch der Wiener SPÖ, einige Punkte der Reform noch einmal zu überdenken, habe zu der Verschiebung geführt.

Wien gegen Frist

Die Organisationsreform beinhaltete eine Zwei-Drittel-Schwelle für öffentliche Ämter, wenn das entsprechende Mandat bereits zehn Jahre ausgeübt wurde. Der Wiener SPÖ-Chef Ludwig sprach sich mehrfach gegen eine solche Zehnjahresfrist aus. Im letzten Entwurf war die Zwei-Drittel-Schwelle deshalb nur für Nationalrats- und EU-Abgeordnete vorgesehen, Bundesräte und die Landesebene waren ohnehin bereits ausgenommen. Weitere Punkte betrafen eine Mitgliederabstimmung über Koalitionsabkommen, niedrigere Quoren für die Initiierung von Mitgliederbefragungen sowie die Einschränkung der Anhäufung von Ämtern – Mehrfachbezüge durch Mandate sollten durch höhere Solidaritätsabgaben zurückgedrängt werden.

Ludwig "gegen Vereinsmeierei"

Ludwig begründet die Verschiebung der Organisationsreform der Bundespartei damit, dass man den Fokus auf die neue Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner und die inhaltliche Ausrichtung der Partei und nicht auf "Vereinsmeierei" legen wolle.

Die Verschiebung der Organisationsreform sei mit einer Enthaltung einstimmig im Bundesparteipräsidium beschlossen worden. Durch den Rückzug von Christian Kern vom Parteivorsitz und von der Spitzenkandidatur für die EU-Wahl müsse man nun eigentlich drei Parteitage zusammenfassen, argumentierte Ludwig: einen für den Beschluss des Parteiprogramms und der Anträge, einen für die Wahl der neuen Vorsitzenden und einen für die Erstellung der Liste für die EU-Wahl. Daher habe man sich für einen zweitägigen Parteitag Ende November entschieden.

Zur deutlichen Kritik an der vorläufigen Absage der Reform, die unter anderem von der "Sektion 8" und den Jugendorganisationen gekommen war, meinte er: "Die Parteibasis ist eine sehr breite. Wir haben in Wien über 230 Sektionen, wenn sich da eine Sektion mit starker Unterstützung der Medien meldet, ist das noch nicht die gesamte Basis." Den Parteimitgliedern, die sich in einer Befragung zu 70 Prozent für die Reform ausgesprochen hatten, sage er "ganz offen, dass man Prioritäten in der Politik setzen muss und die Priorität jetzt, in einer schwierigen Situation der Sozialdemokratie, ist Einheit". (APA, 8.10.2018)