Ob Andreas Schieder ein guter Spitzenkandidat der SPÖ für die Europawahlen ist, bleibt dahingestellt. Sein Name ist bekannt, er ist erfahren und gilt als ernsthafter Politiker. Allerdings hat er das Image eines Apparatschiks, entfacht kaum Leidenschaft und ist durch seine Niederlage in Wien und seine Absetzung als geschäftsführender Klubobmann durch die neue Parteichefin angeschlagen. Ganz offensichtlich war er nicht Pamela Rendi-Wagners erste Wahl.
Aber Erfolg oder Misserfolg eines EU-Wahlkampfs hängt nicht nur von der Person des Spitzenkandidaten ab, sondern auch von seiner Botschaft. Und die hat Schieder in seinem ersten Interview auf Ö1 klargemacht: Er will in Brüssel und Straßburg für soziale Gerechtigkeit kämpfen und gegen die massive Bevorzugung von Konzerninteressen in der EU. Die Zukunft der europäischen Integration oder den Kampf gegen Rechtspopulismus sprach Schieder gar nicht an.
Diese Botschaften mögen für eine sozialdemokratische Partei verlockend sein. Aber sie sind weder glaubwürdig noch relevant.
Es ist ein Irrglaube, dass die EU vor allem die Interessen des Kapitals vertritt und in Brüssel die Anliegen der Umwelt, der Arbeitnehmer oder der Gesundheit zu kurz kommen. Umweltschutz, Verbraucherschutz, Arbeitnehmerschutz oder Gleichberechtigung – in all diesen Bereichen hat die EU strengere Regeln durchgesetzt, auch in Österreich. Die Union ist einer funktionierenden Marktwirtschaft mit Freizügigkeit und Wettbewerb verpflichtet. Aber das ist kein böser Neoliberalismus, sondern entspricht weitgehend auch den Prinzipien der Sozialdemokratie.
Steuerschlupflöcher für Konzerne
Dort, wo ein Ungleichgewicht zugunsten der Wirtschaft besteht, etwa bei den vielen Steuerschlupflöchern für Konzerne, sind die Mitgliedstaaten verantwortlich und nicht die EU. Diese hat gerade bei Steuern wenig Gestaltungsspielraum – und kämpft hier vergeblich für mehr Fairness.
Schieder weiß das natürlich. Ein Wahlkampf, der anderes vorgibt, mag zwar der roten Seele guttun, droht aber beim ersten kritischen Nachfragen in sich zusammenzubrechen.
Hinter dieser klassenkämpferischen Pose steckt ein strategisches Dilemma der SPÖ. Spricht sie ihre urbane proeuropäische Klientel mit einem klaren Bekenntnis zu mehr Integration an, dann verliert sie an Zuspruch bei Protestwählern, die ja mehrheitlich von EU-Skepsis geprägt sind. Die wahren Europäer fühlen sich von Othmar Karas, wenn er für die ÖVP antritt, oder den Neos besser vertreten. Und die Kapitalismusgegner wiederum holt Grünen-Kandidat Michel Reimon glaubwürdiger ab.
Ex-Parteichef Christian Kern kann leicht Allianzen mit linksliberalen Kräften in Europa verfolgen. Der Wahlkampf in Österreich wird innenpolitisch geprägt sein, und dort würde die SPÖ an Profil verlieren, wenn sie sich etwa mit dem rechtsliberalen Kurs von Emmanuel Macron verbündet.
Aber wenn man ohnehin nur schlechte Optionen hat, dann sollte man das Richtige tun – und zumindest nicht so offensichtlich irreführen. Angesichts der Bedrohungen für Europa muss die SPÖ jetzt vor allem dem Nationalismus und Rechtspopulismus à la Viktor Orbán und Matteo Salvini den Kampf ansagen und sollte soziale Gerechtigkeit dort ansprechen, wo die EU tatsächlich etwas bewirken kann. Authentizität ist heute das wichtigste Rezept für erfolgreiche Politik. Gerade dort liegt Schieders größte Schwäche. (Eric Frey, 8.10.2018)