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Zeichnet sich als SPE-Spitzenkandidat ab: Frans Timmermans.

Foto: REUTERS/Francois Lenoir/File Photo

Nach dem Totalausstieg von Ex-Bundeskanzler und Ex-SPÖ-Chef Christian Kern aus der Politik am Samstag zeichnet sich in der Parteifamilie der europäischen Sozialdemokraten (SPE) der Niederländer Frans Timmermans als gemeinsamer Spitzenkandidat bei der EU-Wahl 2019 ab. Als solcher ginge der EU-Kommissar für Grundrechte ins Rennen um die Nachfolge seines Chefs Jean-Claude Juncker, gemäß einem Abkommen der Fraktionen im EU-Parlament, dass nur Personen infrage kämen, die sich den Wählern direkt gestellt haben werden.

Bei den Christdemokraten bewerben sich, wie berichtet, Fraktionschef Manfred Weber (CSU) aus Deutschland und der frühere finnische Premierminister Alexander Stubb. Ein EVP-Parteikongress in Helsinki wird am 8. November entscheiden, wer von beiden gegen den künftigen SP-Spitzenmann antritt.

"Alles läuft auf Timmermans hinaus", erfuhr der STANDARD aus SPE-Kreisen. Diese Woche treffen sich die 189 EU-Abgeordneten der Straßburger Fraktion (S&D) bei einer Arbeitstagung in Wien, wo man darüber reden wird. Vergangene Woche hatte es in der S&D am Rande der Plenarsitzung in Straßburg noch geheißen, die Entscheidung werde zwischen dem Niederländer und Kern fallen.

Roter Kandidatenmangel

Offiziell hatte sich bisher nur der EU-Energiekommissar Maroš Šefčovič beworben, der aber bei Sozialdemokraten in den großen EU-Ländern wie Deutschland, Italien und Frankreich kaum als attraktives Angebot gesehen wird. Es sei kein anderer wirklich profilierter Bewerber oder gar Ex-SP-Regierungschef mehr zu erwarten, heißt es. Timmermans, ein ehemaliger Außenminister, könnte bei einer Mehrheit der SPE-Delegierten auf Zustimmung stoßen. Sie entscheiden Anfang Dezember bei einem Parteifamilienkongress in Lissabon über ihr Zugpferd.

Alle anderen in den vergangenen Monaten genannten Favoriten aus der sozialdemokratischen Parteifamilie haben abgesagt, die aus Italien stammende EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini ebenso wie der französische EU-Währungskommissar Pierre Moscovici. Er gab seinen Rückzug am Freitag bekannt, nur wenige Stunden vor Kern.

Die Umstände, unter denen dies geschah, erscheinen mit jüngsten Ereignissen in der SPÖ in einem besonderen Licht. Deren Parteipräsidium hat den von der neuen Parteichefin Pamela Rendi-Wagner als Klubchef im Parlament erst vor kurzem abgelösten Andreas Schieder am Sonntag zum neuen EU-Kandidaten gemacht.

Anders als offiziell erklärt, lag das offenbar länger in der Luft, war nicht Folge davon, dass Kern aufgab, hatte sich bereits während der Woche nach einer Reise des Ex-Kanzlers zur Partei des französischen Präsidenten Emmanuel Macron nach Paris abgezeichnet.

Liberale Plattform gegen rechts

Beide arbeiteten seit Monaten an einem Projekt einer deklarierten überparteilichen "EU-Plattform gegen rechts", die sich im Wahlkampf scharf gegen die Rechtspopulisten und EU-Skeptiker aufstellen soll – von Matteo Salvini in Italien bis Viktor Orbán in Ungarn. Mit von der Partie ist auch der frühere italienische Premier Matteo Renzi, dessen Partei (PD) nach der Wahlniederlage im Frühjahr ebenso in Auflösung begriffen ist wie die französische PS, aus der Macron kommt.

Da dessen neue Bewegung En Marche (LREM) in Frankreich viel liberaler auftritt als die "alte PS", bemühen sich auch die Liberalen im EU-Parlament (Alde) mit ihrem Fraktionschef Guy Verhofstadt um Macron als Partner. Kern hatte den Chef von LREM erst am Montag in Paris, Renzi am Mittwoch in Rom getroffen.

Am Freitag nach seiner Rückkehr nach Wien dürfte Kern aber gedämmert sein, dass weder die SPÖ noch die neue Parteichefin seine Europapläne unterstützen. Am Samstag warf er hin. An Macrons Plattform will er dennoch dranbleiben. Nach dem EU-Gipfel nächste Woche lädt der Franzose wieder zu einem Treffen in Paris, bei dem diese "progressive Plattform" aus der Taufe gehoben werden könnte – mit dem Privatmann Kern, aber ohne die SPÖ. (Thomas Mayer, 8.10.2018)