Zehn bis 20 Jahre Arbeit, 50 bis 60 Jahre Pension: Das setzt sich die sogenannte Fire-Bewegung zum Ziel.

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Eine Welt ohne Arbeit ist schwer vorstellbar. Der klassische Lebensweg der meisten Menschen besteht aus Ausbildung, Beruf und der dann verdienten Pension, um sich das Leben nicht von 9 to 5 dirigieren zu lassen, sondern den wichtigen Dingen nachzugehen. Arbeit, ist die Autorin Joanna Biggs überzeugt, gebe dem Leben Sinn, wenn Religion, Parteipolitik und Gesellschaft auseinanderfallen.

Doch immer mehr Menschen stellen ihr Verhältnis zur Arbeit infrage – auch vor dem Hintergrund, dass einige Jobs künftig von Maschinen oder künstlicher Intelligenz übernommen werden; chronischer Krankheiten, die vermutlich wegen zunehmender Arbeitsüberlastung steigen; ungerecht verteilter Arbeit; prekärer Jobverhältnisse, die von Firmen wie Amazon oder Uber vorangetrieben werden; oder eines größer werdenden Anteils an sogenannten "Bullshit Jobs", gesellschaftlich sinnlosen Dienstleistungsberufen, wie der Anthropologe David Graeber jene Jobs nennt, die es nur gebe, weil Menschen so viel arbeiten. Nicht zuletzt die Arbeitseinstellung vieler Millennials, lieber mehr Freizeit zu haben als Geld und Karriere zu machen, wie etliche Umfragen belegen, zeugt davon.

Mehr Technik, weniger Arbeit

Schon 1930 prophezeite der Ökonom John Maynard Keynes, dass man im frühen 21. Jahrhundert wegen des technologischen Fortschritts 15 Stunden pro Woche arbeitet. Die Befürworter der Anti-Work-Bewegung gehen davon aus, dass Arbeit in Zeiten der Automatisierung überflüssig ist und man sich schönen Tätigkeiten widmen sollte, finanziert durch ein Grundeinkommen.

Auch die Anhänger der sogenannten Fire-Bewegung hinterfragen den Stellenwert der Arbeit: Während andere Mittzwanziger ihre berufliche Karriere planen und die Altersvorsorge noch weit entfernt scheint, denken sie an ihre Pension. Fire steht für Financial Independence, Retire Early, auf Deutsch: finanzielle Unabhängigkeit, frühe Rente. Sie kehren das Verhältnis von Lebensarbeitszeit und Rentenjahren um. Zehn bis 20 Jahre Arbeit, 50 bis 60 Jahre Pension, finanziert von einem selbst erarbeiteten, passiven Einkommen. Sie investieren in ETF-Fonds, Staatsanleihen, Immobilien, um später von der Rendite zu leben. Das reicht zwar nicht für Weltreisen und teure Autos, aber für ein gemäßigtes Leben ohne Arbeitszwang.

Privilegierte Perspektive

Es geht dabei nicht um Sparsamkeit um jeden Preis, sondern um ein anderes Leben mit Sinn und Zeit statt Geld und Konsum – daher werden sie auch Frugalisten genannt, das steht für einfach, bescheiden. Eine Art Kapitalismuskritik mit kapitalistischen Mitteln.

Die Anti-Arbeit-Bewegungen wollen nicht nur das Ende der klassischen Karriere, sondern damit die Welt verbessern: Wer weniger konsumiert, seltener auf Urlaub fährt, lebt nachhaltiger, so ihre Überzeugung. Wer statt eines sinnbefreiten Jobs ein Ehrenamt übernimmt, trägt mehr zur Gesellschaft bei. Wer seiner Leidenschaft nachgeht und eine Firma gründet, empfinde mehr Sinn im Leben. Und wer mehr Zeit hat, könne diese auch für Haushalt und Kinderbetreuung aufwenden, so einige der Hoffnungen – allerdings aus einer sehr privilegierten Perspektive. (Selina Thaler, 22.11.2018)