Auf Standbildern am Stephansdom verewigte sich Rudolf VI. mit dem "Erzherzogshut", einer von ihm erfundenen kronenartigen Insignie. Diese Statue stammt vom Singertor.

Foto: KHM-Museumsverband

Er war eine Art Donald Trump der Habsburgerdynastie. Herzog Rudolf IV. (1339–1365), genannt der Stifter, war jedenfalls eine der schillerndsten Herrschergestalten des österreichischen Mittelalters. Er gründete die Wiener Universität – die Alma Mater Rudolphina – als erste im heutigen deutschsprachigen Raum (und drittälteste in Mitteleuropa nach den Universitäten in Prag und in Krakau). Er erwarb Tirol und ließ in seiner Residenzstadt Wien den Stephansdom ausbauen. Er war fortschrittlich, verwendete als erster Habsburger ein Münzsiegel und eine Geheimschrift und führte Neuerungen im Kanzleiwesen ein, wie etwa die eigenhändige Unterschrift auf Dokumenten – ein Usus, der erst 100 Jahre später gebräuchlich werden sollte.

Er war nicht nur unbeirrbar und trug gern dick auf, er hatte auch einen lockeren Umgang mit der Wahrheit: Mit dem Privilegium Maius und dem damit verbundenen Komplex an Urkundenfälschungen schuf er alternative Fakten, die das Selbstverständnis des Hauses Habsburg und damit die Geschichte Österreichs für lange Zeit prägen sollten.

Zwischen Genie und Größenwahn

"Etwas zugespitzt wurde er als Mann zwischen Genie und Größenwahn beschrieben", sagt Franz Kirchweger über Rudolf IV. "Jedenfalls muss er überaus ehrgeizig gewesen sein." Kirchweger ist einer von vier Kuratorinnen und Kuratoren der Ausstellung "Falsche Tatsachen – Das Privilegium Maius und seine Geschichte", die ab 16. Oktober im Kunsthistorischen Museum in Wien zu sehen ist. In Kooperation mit dem Österreichischen Staatsarchiv wurde die Fälschungsgeschichte des aus fünf Teilen bestehenden Urkundenkomplexes rekonstruiert und alle Dokumente im Naturwissenschaftlichen Labor umfassend analysiert. Zum ersten Mal sind nun sämtliche "Original"-Fälschungen um das Privilegium Maius in einer Schau versammelt.

Das "Original" des Privilegium Maius: Das sorgfältig gefälschte Dokument sollte die Geschichte Österreichs für lange Zeit prägen.
Foto: BKA / Andy Wenzel

Doch worum ging es eigentlich? Die Geschichte beginnt 1356, als Karl IV., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und pikanterweise Schwiegervater Rudolfs IV., mit der Goldenen Bulle erstmals ein schriftliches Regelwerk zur Wahl des Kaisers und sämtlicher damit verbundener Sonderrechte schuf. Das Problem dabei: Die Habsburger waren nicht Teil der elitären Spitzengruppe der sieben Kurfürsten, die fortan das Oberhaupt des Heiligen Römischen Reiches wählen sollten.

Erfundener Erzherzog

Das wollte Rudolf IV., der sich selbst Hoffnungen auf den Thron gemacht hatte, nicht auf sich sitzen lassen. Daraufhin gab er eine Urkundenfälschung in Auftrag, die äußerst bemerkenswert ist, was den betriebenen Aufwand und die Qualität betrifft. "Es ist nichts Vergleichbares bekannt", sagt Kirchweger.

Das Ziel des Unterfangens: Kaiser Karl IV. von vermeintlichen Privilegien zu überzeugen, die den Österreichern zustünden, also hauptsächlich eine weitgehende Unabhängigkeit vom Reich und eine spezielle Ehrenstellung der Habsburger, inklusive besonderer Insignien und des Titels Erzherzog – eine von Rudolf erfundene Bezeichnung, die bis heute in Verwendung ist.

Um diese Privilegien zu rechtfertigen, wurden im Winter 1358/59 in Rudolfs Kanzlei fünf Urkunden angefertigt, die als Originale der Jahre 1058, 1156, 1228, 1245 und 1283 gelten sollten. Das Herzstück, das Privilegium Maius, basiert auf dem (echten) Privilegium Minus, mit dem Kaiser Friedrich I. Barbarossa die Markgrafschaft Österreich zum Herzogtum erhoben hatte. Der Inhalt wurde umgeschrieben, das Dokument selbst in Schrift und Technik penibelst kopiert und mit Barbarossas Originalsiegel versehen.

Raffiniertes Lügengebäude

Die anderen vier Urkunden dienten dazu, das Lügengebäude zu untermauern – jedes Dokument stützte sich auf ein anderes. "Die Herstellung des Konvoluts war extrem raffiniert", sagt Kirchweger. Denn auch wenn im Mittelalter Schummeleien und Fälschungen aller Art durchaus gängig waren, "steckte eine Menge krimineller Energie" hinter dem Privilegium-Maius-Fake, wie der Kunsthistoriker sagt. Schließlich ließ Rudolf die Echtheit der Urkunden mit einem sogenannten Vidimus von namhaften Honoratioren bestätigen.

Wie ausgeklügelt die Fälschungen waren, hat Martina Griesser, Leiterin des Naturwissenschaftlichen Labors am KHM, gemeinsam mit verschiedenen Projektpartnern genau unter die Lupe genommen. Erstmals in ihrer Geschichte wurden die Dokumente vollkommen durchleuchtet und möglichst zerstörungsfrei analysiert.

Mit Spezialfotografie und UV-Licht konnten Veränderungen an der Oberfläche festgestellt werden, mit Infrarotreflektografie, Röntgenaufnahmen sowie Röntgenfluoreszenzanalysen machten sich die Wissenschafter ein Bild von der Art der verwendeten Tinten und Pergamente sowie vom Innenleben der Siegel. Außerdem wurden die Farbstoffe der Siegelfäden untersucht.

Fake und Wahrheit

"Die Materialien wurden wenig variiert, es wurde aber sehr viel Wert darauf gelegt, das jeweilige Schriftbild zu imitieren und die Technik der Zeit anzupassen", fasst Griesser die Ergebnisse zusammen. So bearbeiteten die Fälscher das verwendete Kalbspergament im Fall der vermeintlich aus Verona stammende Urkunde von 1245 derartig, dass selbst ein Pergamentexperte auf den ersten Blick dachte, es handle sich um ein Schafs- oder Ziegenpergament, wie es zu der Zeit in Italien üblich war, schildert Griesser.

Hohe Glaubwürdigkeit sollten auch die Gold- und Wachssiegel vermitteln, die von älteren Urkunden entfernt und an den Fälschungen neu montiert wurden. Die dabei entstandenen Beschädigungen sind in den Röntgenaufnahmen deutlich erkennbar. Besondere Mühe gab man sich bei der ersten, angeblich 1058 ausgestellten Urkunde. "Sie wurde offenbar bewusst befeuchtet, zerknüllt und dann getrocknet, um alt zu wirken", sagt Griesser.

Trotz aller Anstrengungen ging Rudolfs Plan nicht auf. Karl IV. verweigerte die geforderten Privilegien. Er ließ die erwähnte erste Urkunde, in der sogar die römischen Herrscher Julius Caesar und Nero die Sonderstellung Österreichs bestätigen, vom Humanisten Francesco Petrarca prüfen. Der fällte ob der Ungereimtheiten ein vernichtendes Urteil, identifizierte jedoch nicht Rudolf als Urheber der Täuschung.

Späte Enttarnung

Letzterer ließ sich nicht davon abhalten, sich zumindest mit seinen selbst erwählten Insignien zu präsentieren: allen voran ein Szepter und der kronenartige "Erzherzogshut", mit denen er sich auch auf diversen Standbildern am Stephansdom verewigen ließ. Im Jahr 1453, fast 100 Jahre nach dem Tod Rudolfs IV., verwandelte sich der Fake in eine Tatsache: Friedrich III., selbst Habsburger, war nun am Kaiserthron und bestätigte sämtliche Teile des Privilegium-Maius-Komplexes.

Somit wurden sie gültiges Reichsrecht und machten die Verwendung des Erzherzogstitels samt seiner Insignien offiziell möglich. Erst nach dem Zusammenbruch des Heiligen Römischen Reichs 1806 deckten Historiker die Fälschung auf – und damit einen großen Selbstdarsteller. (Karin Krichmayr, 11.10.2018)