Völlig überraschend ist in Rumänien am Wochenende vom 6. und 7. Oktober eine Volksabstimmung über ein verfassungsrechtliches Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe gescheitert. Den Initiatoren war es nicht gelungen, das laut Referendumsgesetz notwendige Quorum zu erreichen.

Die Initiative zur Verfassungsänderung

Artikel 48 der rumänischen Verfassung regelt, dass sich die Familie "auf die zwischen den Ehegatten frei vereinbarte Ehe" gründet. Gegen diese geschlechtsneutrale Formulierung wandte sich die "Koalition für die Familie", eine Vereinigung von mehr als 30 christlichen und konservativen, zum Teil fundamental-religiösen und neurechten Nichtregierungsorganisationen. Laut eigener Aussage will die Koalition die Familie vor den "Verfallstendenzen der modernen Gesellschaft" schützen. Sie wird dabei insbesondere von der einflussreichen Rumänisch-Orthodoxen Kirche, sowie von US-amerikanischen homophoben Vereinigungen wie dem Liberty Counsel unterstützt, die auch in anderen Ländern Ost- und Südosteuropas aktiv sind.

Gemäß ihrer Ende 2015 lancierten Verfassungsinitiative sollte das Wort "Ehegatten" ("soţi") durch "einem Mann und einer Frau" ("un bărbat și o femeie") ersetzt werden. Kurzfristig hätte diese Änderung zwar keine rechtlichen Folgen für die betroffenen Lesben, Schwulen, Bi-, Trans-,  Intersexuellen und queeren Personen (LGBTIQ) gehabt, da in Rumänien die gleichgeschlechtliche Ehe bereits auf einfach-gesetzlicher Ebene explizit verboten ist. Langfristig hätte die Verfassungsnovelle jedoch einer Liberalisierung des Eherechts einen Riegel vorgeschoben, weil hierfür wieder eine neuerliche Verfassungsänderung notwendig gewesen wäre.

Für ihre Verfassungsnovelle sammelte die Koalition für die Familie mehr als drei Millionen Unterschriften. Das heißt: etwa ein Sechstel der 18,3 Mio. Wahlberechtigten unterstützte die Initiative. Für eine Einreichung im Parlament hätten laut Verfassung bereits 500.000 Unterschriften genügt. Diese breite Unterstützung lässt sich darauf zurückführen, dass homophobe Einstellungen in Rumänien immer noch weit verbreitet sind¹ – wie in anderen Ländern Südosteuropas auch, etwa in Bulgarien oder Serbien. Mitglieder der LGBTIQ-Community sehen sich Diskriminierung im Alltag gegenüber und werden immer wieder auch Opfer von Gewalt.

Am 6. und 7. Oktober wurden die Rumänen zum Referendum gebeten.
Foto: APA/AFP/DANIEL MIHAILESCU

Breite parteipolitische Unterstützung

Relevant wurde die Verfassungsinitiative aber erst dadurch, dass sie von einer breiten Mehrheit der politischen Parteien unterstützt wurde. Sowohl die beiden Regierungspartner, die Sozialdemokratische Partei (PSD) und die Allianz der Liberalen und Demokraten (ALDE), als auch die meisten Oppositionsparteien unterstützten die Unterschriftensammlung. Selbst die größte Oppositionspartei, die Nationalliberale Partei (PNL), sprach sich für die Verfassungsnovelle aus, nachdem sich PNL-Chef Ludovic Orban zu einem Anhänger der "traditionellen Familie" erklärt hatte. Diese Entscheidung blieb innerparteilich jedoch sehr umstritten, da sie viele Anhänger der Nationalliberalen verprellte. Nur die relativ kleine Union zur Rettung Rumäniens (USR), sowie der formal parteilose Staatspräsident Klaus Johannis, der 2014 von der PNL nominiert worden war, sprachen sich gegen die Verfassungsänderung aus.

Die Positionierung des Präsidenten erklärt auch, warum sich das Änderungsverfahren fast zweieinhalb Jahre hinzog. Das Verhältnis zwischen Johannis und dem "heimlichen Regierungschef", dem PSD-Vorsitzenden Liviu Dragnea, ist seit langem durch heftige Auseinandersetzungen geprägt. Dragnea ist derzeit wegen Wahlfälschung auf Bewährung verurteilt, weswegen er kein Regierungsamt wahrnehmen darf. Des Weiteren wurde gegen ihn kürzlich in einem weiteren Verfahren erstinstanzlich eine dreieinhalbjährige Freiheitsstrafe wegen Amtsmissbrauchs verhängt. Politisch bekämpft er seit Jahren die bisherige, erfolgreiche Anti-Korruptionspolitik in Rumänien. Dies löst nicht nur regelmäßig zivilgesellschaftliche Proteste aus, sondern trifft auch auf den Widerstand des Präsidenten. Vor diesem Hintergrund kam Dragnea das populäre Thema des Verbots einer gleichgeschlechtlichen Ehe in seiner Dauerfehde mit Johannis mehr als entgegen.

Nachdem der Änderungsentwurf am 23. Mai 2016 im Parlament eingereicht worden war, dauerte es daher fast ein Jahr, ehe die Abgeordnetenkammer die Verfassungsänderung am 9. Mai 2017 mit einer Mehrheit von 232 zu 22 Stimmen annahm. Die zweite Kammer, der Senat, ließ daraufhin fast 16 Monate verstreichen, ehe auch er die Änderung mit einer ähnlich breiten Mehrheit von 107 zu 13 Stimmen bestätigte.

Fehlendes gesellschaftliches Interesse

Für die endgültige Annahme der Verfassungsnovelle wäre eine Mehrheit in der Volksabstimmung notwendig gewesen, an der sich mindestens 30 Prozent der Wahlberechtigten hätten beteiligen und mindestens 25 Prozent aller Wahlberechtigten mit "Ja" hätten stimmen müssen. Die Gegner der Änderung, darunter nicht nur LGBTIQ-Verbände, sondern auch andere zivilgesellschaftliche Organisationen, zahlreiche Künstler sowie die USR, hatten daher zu einem Boykott des Referendums aufgerufen. Gleichwohl war allgemein damit gerechnet worden, dass alle Hürden überwunden werden würden, zumal bei einer im April dieses Jahres durchgeführten Umfrage 77 Prozent der Befragten Zustimmung zu der Verfassungsänderung geäußert und 55 Prozent angegeben hatten, sich mit Sicherheit am Referendum beteiligen zu wollen.

Wahlplakat der Referendums-Kampagne in den Farben der Boykott-Kampagne.

Der Abstimmungskampf wurde in den Wochen vor dem Referendum von beiden Seiten intensiv und zum Teil mit sehr schmutzigen Mitteln geführt. So warnte beispielsweise die România Liberă, eine der führenden rumänischen Tageszeitungen, vor dem Entstehen einer "neuen LGBTQ-Ordnung" und illustrierte dies mit einer Fotomontage, die eine Dragqueen in Nazi-Uniform zeigte. Demgegenüber zeigte etwa ein Werbespot des LGBTI-Verbandes ACCEPT das dystopische Bild von Hexenverbrennungen vor dem Parlamentsgebäude in Bukarest.

Declic

Dystopischer Werbespot, der Fernsehserie "The Handmaid's Tale" nachgeahmt.

Obwohl die Regierung die Abstimmung auf zwei Tage ausgedehnt hatte, und trotz zahlreicher Berichte über Manipulationsversuche zur Erhöhung der Wahlbeteiligung, gelang den Änderungsbefürwortern jedoch keine Mobilisierung der Bevölkerung, die nennenswert über die Unterstützung der Änderungsinitiative im Jahr 2016 hinausgegangen wäre. Laut vorläufigem Endergebnis beteiligten sich lediglich 3,73 Millionen Wahlberechtigte (20,41 Prozent) an der Abstimmung, von denen 3,53 Millionen für die Verfassungsänderung stimmten (19,32 Prozent).² Damit wurden – trotz klarer Mehrheit für die Verfassungsnovelle – beide Hürden des Doppel-Quorums deutlich verfehlt.

Ein Hauptgrund lag offensichtlich in der mangelnden Fähigkeit der Sozialdemokraten, ihre Anhängerschaft vor allem in den ländlichen Regionen zu mobilisieren. Anders als bei Parlaments-, Präsidentschafts- und Kommunalwahlen ging es bei der Verfassungsänderung nicht um Vergabe von Ämtern, die für die lokalen Parteifunktionäre von Bedeutung sind. Trotz verbreiteter homophober Einstellungen hatte die überwiegende Mehrheit der rumänischen Bürgerschaft offenbar kein Interesse an der Volksabstimmung, was von vielen Gegnern der Verfassungsänderung als "Indifferendum" gefeiert wurde.

Staatspräsident Johannis, der sich aufgrund seines Amtes kaum öffentlich an der Boykottkampagne hatte beteiligen können, unterstützte ebenfalls durch geschickte Symbolik die Änderungsgegner. Er gab seine Stimme erst eineinhalb Stunden vor Schließung der Wahllokale am Sonntag ab – zu einem Zeitpunkt, als das Scheitern des Referendums bereits sicher war und seine (vermutliche) "Nein"-Stimme nicht mehr unfreiwilligerweise zu einem Referendumserfolg beitragen konnte.

Jubelstimmung bei LGBTIQ-Aktivisten.
Foto: REUTERS/Inquam Photos / Octav Ganea

Bringt die EU die eingetragene Lebenspartnerschaft?

Mit dem Scheitern der Verfassungsinitiative ist eine verfassungsrechtliche Zementierung des homophoben Gesellschaftsbildes in Rumänien vorerst ausgeblieben. Hoffnung auf eine baldige Ausweitung ihrer Rechte besteht für die rumänische LGBTIQ-Community derzeit jedoch nur durch die Hintertür des Europarechts. Am 5. Juni dieses Jahres entschied der Europäische Gerichtshof, dass die Niederlassungsfreiheit für Ehepartner in EU-Mitgliedsstaaten ausnahmslos auch für in einem EU-Mitgliedstaat geschlossene gleichgeschlechtliche Ehen gilt. Vorausgegangen war die Klage eines rumänisch-US-amerikanischen schwulen Paares, das in Belgien geheiratet hatte und dauerhaft in Rumänien wohnen wollte.

Vor diesem Hintergrund ist wohl auch die überraschende Ankündigung des PSD-Chefs Dragnea vom März 2018 zu sehen, die Einführung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft in Erwägung zu ziehen. Derzeit liegen zwei entsprechende Gesetzentwürfe im Parlament. Dass Rumänien in näherer Zukunft tatsächlich eine eingetragene Lebenspartnerschaft einführen wird, scheint derzeit jedoch eher unwahrscheinlich. (Michael Hein, 15.10.2018)

Michael Hein, Politikwissenschafter, ist Postdoktorand an der Alexander-von-Humboldt-Professur für Komparativen Konstitutionalismus am Institut für Politikwissenschaft der Georg-August-Universität Göttingen.

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