Seit einem Monat in türkischer Haft: Max Zirngast (29) werden Verbindungen zu einer kommunistischen Gruppe in der Türkei vorgeworfen. Ob die Gruppe überhaupt existiert, ist zweifelhaft. Die österreichische Regierung sieht nach wie vor keine konkreten Anschuldigungen gegen den Politikstudenten und Autor.

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Mal konkret angesprochen: Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat sich im Beisein von Außenministerin Karin Kneissl bei einem Treffen mit dem autoritär regierenden türkischen Staatschef Tayyip Erdoğan am 27. September in New York für den inhaftierten Max Zirngast verwendet. Ob es Eindruck auf Erdoğan gemacht hat, ist ungewiss.

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Eine Dreiviertelstunde vom Zentrum Ankaras entfernt verbringt Max Zirngast nun seine Tage in einer Zelle in Sincan, einem Komplex von Gefängnissen und einer gleichnamigen Provinzstadt nördlich der türkischen Hauptstadt. "Uns geht es gut, macht euch keine Sorgen", schrieb der 29-jährige Steirer Ende September von sich und seinen Mitgefangenen. Vor einem Monat, am 11. September, wurde Zirngast von der Polizei aus seiner Wohnung in Ankara geholt, zehn Tage im Polizeipräsidium in Gewahrsam gehalten und dann auf richterliche Anordnung in die Untersuchungshaft überstellt, zusammen mit zwei türkischen Gesinnungsfreunden.

Die Justiz wirft dem jungen Österreicher Unterstützung der kurdischen PKK und Verbindungen zu einer kommunistischen Splittergruppe vor, von der nicht klar ist, ob es sie in Wirklichkeit überhaupt gibt. Selbst türkische Gerichte entschieden in den vergangenen Jahren zweimal, dass TKP/Kıvılcım keine Terrororganisation sei. Abseits von sporadischen, alten Facebook-Kommentaren ist von der Gruppe nichts zu finden. Doch Max Zirngast, ein Student der Politikwissenschaften und linker Aktivist, hatte Bücher von Hikmet Kıvılcımlı, einem 1971 verstorbenen kommunistischen Theoretiker und Politiker, in seinem Bücherregal in Ankara. Das reichte der Staatsanwaltschaft und dem Richter erst einmal. Nicht aber der österreichischen Regierung.

Warten auf "konkrete Anschuldigungen"

"Sowohl Bundeskanzler als auch Außenministerin haben die türkische Seite aufgefordert, konkrete Anschuldigungen gegen den inhaftierten Österreicher darzulegen oder ihn umgehend freizulassen", erklärt das Kanzleramt auf Anfrage des STANDARD. "Die türkische Staatsanwaltschaft hat bisher lediglich mitgeteilt, dass sie gegen Herrn Zirngast wegen Zugehörigkeit zu einer Terrororganisation ermittelt."

Einem der beiden Anwälte, die Zirngast vertreten, hat die türkische Justiz zum Erstaunen der österreichischen Regierung nun das Mandat abgenommen. Tamer Doğan hatte mit Medien wie dem Schweizer Onlinemagazin "Revolt" gesprochen, für das Zirngast Beiträge aus der Türkei verfasste. Das störte die Staatsanwaltschaft offenbar schon; weil gegen Doğan ein Verfahren wegen der Teilnahme an einer Demonstration von Anwälten vor zweieinhalb Jahren läuft, fand sie einen Grund, um Zirngasts Rechtsvertreter auszuschließen.

Kriminalisierung von Kritikern

Zirngasts anderer Anwalt Murat Yilmaz ist diskreter, aber in der Sache nicht weniger deutlich. Es sei nicht illegal, den Kommunisten Hikmet Kıvılcımlı zu lesen oder eine Studienarbeit über ihn zu schreiben, sagte Yilmaz dem US-Journalisten David Lepeska in Istanbul. "Das Problem ist der Staat selbst. Um seine Kritiker zu unterdrücken, kriminalisiert der Staat bestimmte Handlungen und Situationen."

Zirngast erhalte volle konsularische Betreuung, versichert das Bundeskanzleramt. Ein Konsul und eine weitere Mitarbeiterin der österreichischen Botschaft in Ankara besuchten ihn erstmals vor zwei Wochen eine Stunde lang. Zirngasts Mutter bemüht sich nun, von den türkischen Behörden eine Besuchserlaubnis zu erhalten. Die Frage aber ist, wie lange der Österreicher überhaupt im Gefängnis festgehalten wird. Alle 30 Tage kann sein Anwalt beim Richter eine neue Feststellung über den Verbleib in der U-Haft beantragen. Die wird in der Türkei leicht verlängert.

Erdoğans Faustpfand

Drei Monate saß der deutsche Menschenrechtler Peter Steudtner im vergangenen Jahr in Haft, ein Jahr lang der türkischstämmige deutsche Zeitungskorrespondent Deniz Yücel, zwei Jahre sind es nun beim amerikanischen Pastor Andrew Brunson, seit Juli immerhin in Hausarrest. Brunson hat am Freitag einen neuen Verhandlungstermin und könnte dann trotz Terrorismus- und Spionagevorwürfen wie durch Zauberhand freikommen. Die Sanktionen der US-Regierung gegen die Türkei wegen Brunson hatten den Kursverfall der Lira im Sommer noch beschleunigt. Der Pastor wurde für die politische Führung in Ankara zu einem Problem, er war nicht länger ein Faustpfand, um politische Vorteile von Washington abzupressen.

Die österreichische Regierung setzt erst einmal auf stille Diplomatie, Einsicht und Wohlwollen. Angesichts der insgesamt schlechten bilateralen Beziehungen dürfte das ein Verfahren mit ungewissen Ausgang sein. Zwar hat Außenministerin Karin Kneissl wohl eine gute Arbeitsebene mit ihrem türkischen Kollegen Mevlüt Çavuşoğlu gefunden. Die politischen Belastungen sind allerdings groß: das offizielle Ziel der Regierung, auf EU-Ebene einen Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei herbeizuführen, die verkündete Schließung von Moscheen, die grundsätzlich als islam- und türkeifeindlich wahrgenommene Haltung der Rechtsregierung in Wien.

Treffen in New York

Als einzige konkrete Hilfe für Zirngast führt das Kanzleramt das Treffen von Bundespräsident Alexander Van der Bellen und dem türkischen Staatschef Tayyip Erdoğan am Rande der Uno-Generalversammlung in New York und in Begleitung der Außenminister beider Länder im September an. Van der Bellen sprach dabei den Fall Zirngast direkt an, um – wie es heißt – eine möglichst rasche Freilassung zu erwirken. Die türkische Seite wird es registriert haben. Ob es Eindruck auf Erdoğan machte, ist unsicher.

Zirngasts Freunde haben unterdessen in Wien die #FreeMaxZirngast-Kampagne gestartet. Zusammen mit Zirngast waren vor einem Monat auch die Bürgerrechtlerin Hatice Göz von den "Campushexen" (Kampüs Cadıları) und ein Aktivist der kleinen linken Gruppe TÖPG, Mithatcan Türetken, verhaftet worden. (Markus Bernath, 11.10.2018)