Bild nicht mehr verfügbar.

Verlesung der Anklage gegen den mutmaßlichen kalifornischen Serientäter. Der Verdächtige war nach Jahrzehnten mithilfe einer Genealogie-Plattform im Internet aufgespürt worden.

Foto: REUTERS/Fred Greaves

Or Jehuda – Es ist der wohl prominenteste, aber keineswegs einzige Kriminalfall, der dank des wachsenden Interesses für Genealogie gelöst werden konnte: Im April verhafteten US-Behörden einen mutmaßlichen Vergewaltiger und Serienmörder, der in den 1970er- und 80er-Jahren in Kalifornien für Angst und Schrecken gesorgt hatte. Identifiziert wurde der "Golden State Killer" mithilfe einer öffentlichen DNA-Datenbank.

Die Ermittler hatten schon in den 1990ern ein DNA-Profil des Täters erstellt, doch den Durchbruch brachte erst jetzt eine Internetplattform, bei der Interessierte Daten zu ihrer eigenen DNA hochladen können, um Verwandte zu finden oder ihre Abstammung zu erforschen. Die Datenbank, die damals fast eine Million Mitglieder zählte, spuckte tatsächlich einige genetische Profile aus, die dem des Verdächtigen ähnelten.

Kritik an behördlicher Nutzung

Wie sich herausstellte, handelte es sich um Cousins dritten und vierten Grades. Die Rekonstruktion des Stammbaums führte schließlich zu einem 72-jährigen Mann. Eine heimlich entnommene Probe brachte dann Gewissheit: Sein DNA-Profil passte hundertprozentig zu dem des Täters.

Mit einem Schlag wurde vielen Nutzern bewusst, was mit derartigen Datenbanken möglich ist. Der Anbieter der Plattform geriet unter Kritik, Nutzer ohne ihr Wissen zu "genetischen Belastungszeugen" gemacht zu haben. Denn bei aller Freude über den Fahndungserfolg im Fall des Mörders kann auf diese Weise das Recht umgangen werden, Angehörige nicht zu belasten.

Verräterische Cousinen

Eine neue Studie quantifiziert nun erstmals das unheimliche Potenzial solcher Online-Dienste: In den USA sind demnach bereits 60 Prozent aller Menschen mit europäischen Vorfahren per DNA identifizierbar. Wie ein internationales Forscherteam mit Beteiligung einer der größten Genealogie-Plattformen, My Heritage, im Fachblatt "Science" berichtet, reicht es schon, wenn nur zwei Prozent einer Zielpopulation ihre genetischen Daten hochladen.

Dann lasse sich nämlich für nahezu jedes Individuum dieser Gruppe zumindest ein Cousin oder eine Cousine dritten Grades finden. Die Erstellung eines Stammbaums in Kombination mit weiteren Benutzerdaten wie Alter und Wohnort führt dann direkt zur Einzelperson.

Strengere Regeln gefordert

"Genetische Genealogie-Datenbanken funktionieren wie ein GPS-System für anonyme DNA", sagt Ehrlich, Erstautor der Studie und wissenschaftlicher Leiter bei My Heritage. "Die Familienstammbäume bilden das Koordinatensystem, in dem das DNA-Profil einer einzelnen Person auf hunderte Verwandte verweist, die selbst nicht in der Datenbank verzeichnet sind." Das Unternehmen bietet seit zwei Jahren selbst einen genetischen Testdienst an, betont aber, bisher nie eine Zustimmung zur forensischen Nutzung der Kundendaten gegeben zu haben.

Ehrlich und Kollegen mahnen nun an, sowohl für private Anbieter als auch für Behörden transparentere Richtlinien für die DNA-Datennutzung zu definieren. Auch der Einsatz neuer Verschlüsselungstechniken sei unumgänglich, um unautorisierte Zugriffe und Datenmissbrauch zu verhindern. (David Rennert, 13.10.2018)