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Straßburg: Uni statt Parlament?

Foto: REUTERS/Vincent Kessler

Jeden Monat pendelt das gesamte EU-Parlament samt Abgeordneten, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Brüssel nach Straßburg. Ein riesengroßer bürokratischer und finanzieller Aufwand für eine symbolische Geste. Statt den teuren zweiten Sitz des Parlaments weiterzuerhalten, ein Vorschlag: Öffnen wir das Parlament in Straßburg für junge Europäerinnen und Europäer – und machen es zu einer europäischen Universität, zu einem Ort, an dem die großen Zukunftsfragen unseres Kontinents offen diskutiert werden können und der ein Symbol für eine gemeinsame europäische Identität wird. Welch besseren Ort gibt es als Straßburg, um die großen Zukunftsfragen unseres Kontinents zu diskutieren?

Gesamteuropäisches Denken

Warum gelingt es uns bis heute nicht, die gesamteuropäischen Lösungen, die in Sonntagsreden gern beschwört werden, zu finden? Weil wir nicht europäisch denken, auch nicht in Wissenschaft und Bildung. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und die nationale Brille gewohnt. Für komplexe Sachverhalte und entsprechend fundierte Lösungsansätze mangelt es an einer europäischen Identität. Die meisten Zukunftsthemen der Welt und unseres Kontinents — von Digitalisierung bis Umweltschutz, von Demografie bis zur Verteidigung — können aber nur gemeinsam gelöst werden. Dazu braucht es neben einer aufrichtigen Diskussionsbasis abseits von ideologischen Grabenkämpfen auch den Ausbau und die Förderung einer europäischen Kultur. Unbestritten tragen auch Wissenschaft und Forschung maßgeblich zu Frieden und Wohlstand bei. Eine echte europäische Volluniversität kann diese Lücke füllen.

Denn der Ausbau des Europäischen Hochschulinstituts zu einer Volluniversität würde eine treibende Kraft auf dem Weg der innereuropäischen Entwicklung mit dem Ziel einer integrativen Identitätsschaffung darstellen. Eingebettet in ein europaweites Forschungsnetzwerk, könnten mitgliedsstaatliche und private Forschungseinrichtungen noch besser miteinander verknüpft werden und durch diese Symbiosen in weiterer Folge identitätsbildende Dynamiken entstehen. Konsequenterweise sollte eine solche Europäische Universität als gesamteuropäisches Projekt vorrangig aus dem EU-Haushalt und nicht aus den Budgets der Mitgliedstaaten finanziert werden. Überdies sollte man auch eine Diskussion über sozial gerechte, nachgelagerte Studiengebühren sowie die Hinzunahme privater Drittmittel nicht von vornherein ausschließen.

Europäische Influencer

Doch eine europäische Universität kann noch mehr bringen als Forschungsergebnisse: Absolventinnen und Absolventen werden nach ihrem Abschluss über den ganzen Kontinent verstreut leben, arbeiten und forschen, in Wirtschaft, Politik, Zivilgesellschaft und Institutionen. Sie werden als Influencer die europäische Idee verbreiten.

Europa muss langfristig zu einer Bildungsunion werden: Bildung, Weltoffenheit, Aufklärung, Integration – meritorische Güter von höchstem Wert, die von politischen und sonstigen gesellschaftlichen Einflussnehmern gerade in den letzten Jahren nur allzu gerne vereinnahmt wurden und deshalb vielleicht auch ein wenig an Glaubwürdigkeit verloren haben. Es ist daher umso wichtiger, sich wieder auf die Essenz dieser Themen zu besinnen und sich ehrlich einzugestehen, dass es – weltpolitisch betrachtet – nichts Grundlegenderes für ein friedliches Zusammenleben geben kann.

Die Förderung von Bildung und Aufklärung darf nie ein bloßer Zweck ihrer selbst sein, und um diese Gratwanderung an unterschiedlichen nationalen Bedürfnissen und einer gesamteuropäischen Basis zu bestehen, braucht es auch hier eine möglichst ideologiebefreite Zusammenarbeit auf allen Ebenen. Natürlich gibt es unterschiedliche Ausgangspunkte in den verschiedenen Nationen, let's keep it real, aber daran dürfen wir uns nicht aufhängen. Woher der Wind kommt, kann man ja, wie es so schön heißt, nicht ändern, sehr wohl aber können wir die Richtung unserer Segel bestimmen. (Douglas Hoyos, 12.10.2018)