Spannt in seinem Roman ein kunstvolles Netz aus An spielungen aus: Archil Kikodze.

Foto: Ullstein/Kherkheuldidze

Die Affen können nicht schwimmen." Der Zoo direktor von Tiflis sagte den Satz anlässlich der großen Überschwemmung 2015 im Fernsehen. Die Were, ein Ne benfluss der Kuna, war über die Ufer getreten, hatte sich in eine reißende Flut verwandelt und den Zoo sowie den nahegelegenen Park verwüstet. Menschen waren ums Leben gekommen. Aber den Erzähler im Debüt Der Südelefant von Archil Kikodze erschüttert die Nachricht über die Affen, die "nicht einmal eine kleine Chance aufs Überleben hatten".

Sätze wie dieser, kleine Widerhaken, an denen man beim Lesen hängenbleibt und die zum Nachdenken zwingen, tauchen immer wieder in Kikodzes Roman auf. "Greifen und loslassen ... Manchmal brauchen wir ein ganzes Leben, um das Loslassen zu lernen. Manchmal wird das Loslassen zum Lebensprinzip, und dann lassen wir uns das Wichtigste entgehen", sinniert der Erzähler, während er einem kleinen Jungen beim Steinewerfen zusieht. Und eine Schar Gläubiger, die vom Morgengebet aus dem Kloster strömt, veranlasst ihn zu der Feststellung: "Es gibt zwei Dinge, die man im Film niemals darstellen kann: einen realistischen Liebesakt und ein an Gott gerichtetes Gebet ... der Meinung war auch der alte Orson Welles."

Der Film spielt eine wichtige Rolle im Roman. Sein Titel bezieht sich auf einen prähistorischen Fund vom "Tariban Feld", für den Erzähler ein magischer Ort, der an Orson Welles’ "Rosebud" denken lässt. Kikodze ist Regisseur und Schauspieler. Er war Koautor des Dokumentarfilms Frühling in Javakheti, verfasste das Skript für Tbilissi, ich liebe dich und spielte die Rolle des Iva in Levan Koghuaschwilis Film Blind Dates. In seinem Roman bedient er sich raffiniert filmischer Mittel. Während sich in seiner Wohnung ein Jugendfreund heimlich mit einer Frau trifft, schlendert der Erzähler durch Tiflis. An jeder Straßenecke und auf jedem Platz begegnen ihm Erinnerungen und Geschichten, die von wieder anderen Geschichten unterbrochen werden und die er zu eindrücklichen Bildern formt oder zum Plot verdichtet.

Als roter Faden dient das Lebensschicksal seiner Mutter. Ihre jahrelangen ergebnislosen archäologischen Grabungen in Mingrelien auf dem Boden des antiken Kolchis zeigen sie als Stellvertreterin einer Generation, die an etwas glaubte und festhielt. Subtil lässt Kikodze Kritik an den neuen Zeichen der Macht einfließen. An das Restaurant Tbilissi erinnert sich sein Erzähler als Schauplatz der letzten Szene von Otar Iosselianis Film Es war einmal eine Singdrossel und Ort der Boheme. "Bis die Macher kamen." Ein Flug nach Tiflis bildet die soziale Spaltung der Gesellschaft ab: "... mancher kehrt zutiefst überzeugt von der Richtigkeit seiner Existenz in die Heimat zurück ... manchen entfernte die EU wie einen Speichelfleck von sich ..."

Anspielungsreich flicht Kikodze historische Episoden aus Georgien ein. Einen Film "über den heldenhaften Kampf der Georgier gegen die Russen" erwartet der polnische Agent vom Erzähler. Der sieht zwar eher "eine endlos lange Saga der Kollaboration", dennoch schustert er eine Geschichte zusammen, wie er als Zehn jähriger die Fenster im Verfassungsgerichtsgebäude der Sowjetischen Republik Georgien zerschlug. Um noch eins draufzu setzen, verrät er, sein eigener Vater habe ihm "die Waffe dazu" – eine Steinschleuder – gegeben. So wird der Vater, Archäologe und obendrein Alkoholiker, zum Dissidenten.

Schon aber schlägt der Roman wieder einen Haken, und es taucht tatsächlich ein Dissident auf: der Schriftsteller Micheil Dschuwachischwili. Nach der Durchquerung eines dunklen Durchgangstreppenhauses steht der Erzähler "direkt vor Berias Haus". Das weiß er von seiner Mutter noch aus der Zeit "leise gehauchter Halbwahrheiten". Lawrenti Beria wurde während der Stalin’schen Säuberungen nach Georgien versetzt, wo er massenweise Verhaftungen und Hinrichtungen durchführen ließ. Der Romantext geht in eine Filmszene über. Beria sieht von seinem Balkon aus auf den Schriftsteller, der auf seinen Gehstock gestützt mit hängenden Schultern auf und ab spaziert. Beria lädt ihn "nachbarschaftlich zu sich ein – zum Mittagessen, zu einem Gespräch". Der Schriftsteller ignoriert die Einladungen. "In der Version der Wahrheit, die mir gefällt, geht der Schriftsteller nicht zu Beria ... Einmal, zweimal, dreimal geht er nicht hin und wahrscheinlich weiß er genau, dass dies sein eigenes Urteil besiegelt ..." In seinem Sommerhaus in Qvischcheti holten die Tschekisten ihn ab. Er soll einen weißen Anzug ange zogen haben, bevor er ihnen folgte. "Wozu brauchte ein Mann, der seiner Folter entgegenschritt, einen weißen Anzug?", fragt der Erzähler. Aber da schweifen die Erinnerungen schon weiter zur Englischlehrerin, dem Maulbeerbaum im Hof und Oscar Wildes Märchen Der selbstsüchtige Riese. Ein kunstvoll geknüpftes Netz aus Anspielungen spannt Kikodze aus und füllt es mit Erinnerungen, Lebensweisheiten und Geschichten. Auf dem ziellosen Gang durch die Gassen fängt er damit auch die Melancholie seines Erzählers ein, der am Ende nach viel Alkohol, vielen Zigaretten und fast einer Schießerei bekennt: "dieser Ort ist gar nicht so schlecht, um hier zu leben." (Ruth Renée Reif, 13.10.2018)