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Schwere Zeiten für den französischen Präsidenten Emmanuel Macron.

Foto: Reuters

Frankreich wird ungeduldig. Der Posten des Innenministers, zuständig für Polizeifragen und Terrorbekämpfung, ist seit dem 2. Oktober unbesetzt. Staatspräsident Emmanuel Macron hält sich derweil am Frankofonie-Gipfel in Armenien auf und lässt ausrichten, er nehme sich "in Ruhe die nötige Zeit für die Bildung einer kohärenten Regierungsmannschaft".

Die heutigen Minister werden umso unruhiger. Sie befürchten, dass der Rücktritt von Innenminister Gérard Collomb, eines politischen Schwergewichts, ein größeres Stühlerücken im Kabinett bewirken wird. Einige gelten wegen kleinerer Affären bereits als Hypotheken. Vor allem aber scheint Macron nicht mehr Herr der Lage zu sein. Sein etwas vorlauter Vertrauter Christophe Castaner, Sekretär der Macron-Partei La République en Marche, droht mit Rücktritt, falls er nicht Innenminister wird.

Weder Pilot noch Mannschaft

Die Opposition, die nach der Wahl Macrons im Mai 2017 ein Jahr lang von der Bildfläche verschwunden war, macht sich wieder bemerkbar. Der Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon beklagte das Vakuum an der Staatsspitze, an der es "weder einen Piloten noch eine Mannschaft" gebe. Die konservativen Republikaner wiederum bezeichnen die geplante Regierungsumbildung als "Tragikomödie"; erstmals in der 60-jährigen Geschichte der Fünften Republik finde der Präsident keinen geeigneten Innenminister.

Der viel beachtete Pariser Kommentator Alain Duhamel meinte am Freitag, der Autoritätsverlust des Präsidenten bewirke eine unterschwellige, "kalte Krise": "Die Persönlichkeit von Emmanuel Macron ist heute direkt und massiv infrage gestellt", so Duhamel. Dass Macrons Beliebtheitswert auf 29 Prozent abgesackt ist, wirkt umso auffälliger, als Premier Édouard Philippe von 55 Prozent der Franzosen geschätzt wird.

Macron versucht seit längerem, dem Image eines hochmütigen Elitepolitikers entgegenzuwirken. Er gibt sich betont sozial und zugleich präsidial, indem er etwa das Grab von Landesvater Charles de Gaulle besucht. Diese Auftritte wirken reichlich aufgesetzt.

Macron leistet sich zudem gravierende Fehltritte, als hätte er sein glückliches Händchen von einst völlig verloren. Die an sich geringfügige Affäre um seinen obersten Bodyguard Alexandre Benalla managte er so schlecht, dass sie sich schließlich zu einer richtigen Staatsaffäre auswuchs.

Stinkefinger-Foto

Zur Ablenkung besuchte Macron Ende September Sturmopfer in den Antillen. Vom Regen durchnässt sprach er stundenlang mit einfachen Leute und gab sich möglichst volksnah. Zurück bleibt aber ein einziges Bild – das von einem leicht dusseligen Präsidenten zwischen einem Einbrecher und dessen halbnacktem Cousin, der den Stinkefinger zeigt. Wie sich später herausstellte, war Macron seinen Beratern entwichen und auf eigene Faust in eine Sozialwohnung eingedrungen. Im Internet hieß es fast unisono, seine puerilen Eskapaden seien "eines Staatschefs unwürdig".

Die politischen Folgen können nicht ausbleiben: Macron, der seine Arbeitsmarkt- und Bahnreform fast mit links umgesetzt hatte, wird seine weiteren Wirtschaftsvorhaben nur noch mit Mühe durchbringen. Am Dienstag gingen bereits Zehntausende gegen die geplante Rentenreform auf die Straße. Nachdem der Präsident seine Landsleute wie einst de Gaulle aufgefordert hatte, sie sollten sich "weniger beklagen", stand auf einem Transparent: "Wir beklagen uns nicht, wir proben die Revolte." (Stefan Brändle aus Paris, 12.10.2018)