Die Anglistin Aleida Assmann prägte mit ihren Schriften eine Generation von Forschern.

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Der Archäologe Jan Assmann erhellt die Gegenwart mit historischen Tiefenbohrungen.

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Das Ehepaar Assmann erhält in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

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Noch vor wenigen Jahren sah Aleida Assmann ein "postheroisches Zeitalter" heraufdämmern. Der Begriff, den die deutsche Anglistin, Historikerin und Philosophin (Fachgrenzen waren für sie stets durchlässig) einführte, meint ein Geschichtsverständnis, das Identität nicht mehr durch die Anrufung kriegerischer Figuren und Erzählungen herstellt, sondern durch neue Helden der Zivilgesellschaft.

Nicht mehr die Militärgeschichte samt ahistorischer Glorifizierung sollen das Selbstverständnis einer Gesellschaft definieren, sondern die Errungenschaften auf dem Gebiet des zivilen Widerstands, der Wissenschaft, der Kunst, des Sports, des pazifistischen, sozialen und demokratischen Engagements: Aufklärung statt Geschichtsklitterung.

Autoritärer Rückfall

Dass dieses Konzept auch Feinde hat, beschrieb Assmann schon 2013 in ihrem Buch Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur. Zunehmend wurde dies politisch sichtbarer: Rechtskonservativ-illiberale Kräfte in postsozialistischen Ländern befeuern einen autoritären Backlash, der neben der Zurückdrängung von Pressefreiheit und demokratischen Standards auch auf eine der jeweiligen Regierungspartei dienliche Retro-Erinnerungskultur abzielt.

Ungarn und Polen stehen exemplarisch dafür, in Deutschland sorgt die Rechtspartei AfD für Beunruhigung, wenn etwa ihr Chef den Nationalsozialismus als "Vogelschiss in 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte" bezeichnet. In Österreich setzte zuletzt die FPÖ der historisch fragwürdigen Figur der Trümmerfrau ein Denkmal. Und 2016 wurde mit Donald Trump ein Mann zum US-Präsidenten gewählt, dem an Dekonstruktion historischer Mythen schon allein deswegen nichts gelegen sein kann, weil kaum ein Tag vergeht, an dem er nicht selbst Lügen in die Welt setzt.

Es ist daher als politisch-symbolischer Akt zu werten, wenn Aleida Assmann am Sonntag auf der Frankfurter Buchmesse gerade jetzt mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wird. Das Renommee ereilt sie nicht allein, sondern gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Ägyptologen Jan Assmann. Erst zum zweiten Mal in der Geschichte des Preises wird damit ein Paar ausgezeichnet. Die Assmanns, so die Begründung, hätten als Intellektuelle ungemeinen Einfluss darauf gehabt, wie das offizielle Deutschland (und auch Österreich) seit den 1990er-Jahren mit seiner Geschichte umgeht.

1968er-Bildungsbürger

Mit ihrem Grundlagenwerk zur Erinnerungskultur prägten sie eine ganze Generation von Wissenschaftern. Der Gesellschaft machten die Assmanns ein Angebot, wonach gerade der ungeschönte, ehrliche Umgang mit den dunklen Flecken der Geschichte kein bedrückendes Gefühl der Schande hinterlassen muss, sondern auch zum positiven Gefühl von Stolz auf die Reflexionsfähigkeit eines Landes führen könne.

Kennengelernt haben sich Jan und Aleida Assmann in den 1960er-Jahren. Er, der 30-jährige Ägyptologe, leitete eine Ausgrabung in Theben, sie, acht Jahre jünger, stieß als Studentin hinzu – 1968, in jenem Jahr, in dem in Deutschland die erinnerungspolitische Wende ihren Anfang nahm, heiratete das Paar. Als liberale protestantische Bildungsbürger mit Achtundsechziger-Anstrich ließen sich die Assmanns in Heidelberg und Konstanz nieder. Viel Zeit verbringen sie auch im oberösterreichischen Traunkirchen. Er gilt als ruhiger, zurückhaltender Typ, sie als quirlig-aufgewecktes Wesen. Von jeher ergänzt man sich, liest einander Korrektur, zitiert einander in den jeweiligen Werken oder gibt gemeinsam Interviews.

Achsenzeit und Menschenrechte

Zu den kanonisierten Arbeiten der beiden zählen Das kulturelle Gedächtnis (Jan Assmann, 1992) oder Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses (Aleida Assmann, 1999). Während Jan mit Werken wie Exodus. Die Revolution der Alten Welt (2015) nicht müde wird, die Errungenschaften früher Hochkulturen für das Jetzt fruchtbar zu machen, beschäftigte sich Aleida 2016 mit Formen des Vergessens – ein Werk, in dem sie aufzeigt, dass es auch produktiv sein kann, Dinge nicht zu erinnern.

Pünktlich zur Verleihung des Friedenspreises sind neue Bücher erschienen: In Achsenzeit befasst sich Jan Assmann mit dem für die spätere Aufklärung so gewichtigen Übergang vom Mythos zum Logos in antiken Hochkulturen. Aleida Assmann legt gleich zwei leidenschaftliche Plädoyers vor: Der europäische Traum unternimmt den Versuch, das in Schieflage geratene Einigungsprojekt argumentativ zu retten. In einer zweiten Schrift verteidigt Assmann die universalen Menschenrechte. Wichtig in Zeiten, in denen ein FPÖ-Innenminister bei Menschenrechten über "österreichische Lösungen" nachdenkt (Stefan Weiss, 13.10.2018)